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Wir haben es irgendwie geschafft

Martin Scorsese über »Shutter Island«, seinen Star Leonardo DiCaprio und die 3D-Technik

  • Lesedauer: 5 Min.
Martin Scorsese, geboren 1942 in New York und aufgewachsen in Little Italy, schaffte 1976 mit »Taxi Driver« den Durchbruch. Es folgten unter anderem »Wie ein wilder Stier«, »Die Farbe des Geldes«, »Casino«, »Zeit der Unschuld« und »Gangs of New York«. Immer wieder kehrte er zu seinen Anfängen als Dokumentarfilmer zurück. Vor zwei Jahren präsentierte er in Berlin seine Doku über die Rolling Stones. In diesem Jahr kehrte er mit dem Thriller »Shutter Island« zurück, in dem Leonardo DiCaprio einen Mann spielt, der als junger Soldat die Befreiung eines KZs miterlebte und die Erinnerungen nicht los wird.
Wir haben es irgendwie geschafft

ND: In Ihrer »Geschichte des amerikanischen Films« schrieben Sie, Filmemacher drehten einen Film für sich und einen fürs Publikum. Zu welcher Kategorie gehört dieser Film?
Scorsese: Ich hoffe, ich habe einen Weg gefunden, beide zu befriedigen. Ich hatte Spaß, Referenzen zu einzelnen Genres und die Filme der 50er Jahre einzubauen. Der Roman und das Drehbuch berühren zugleich Themen, die viele Leute interessieren könnten. Ich dachte, ergreife die Chance und warte ab, was passiert. Es ist doch ein guter Film, oder, der für viel weniger Geld hätte gedreht werden können, in Hollywood aber viel mehr gekostet hätte.

Das klingt, als hätten Sie wie zu »Departed« wieder einen Kampf mit den Produzenten gehabt?
Bei »Departed« hatte ich Schwierigkeiten mit dem Schnitt. Bei diesem Film holten sie mich in den letzten vier Wochen des Drehs ein. Wir waren über dem Zeitplan. Nicht über meinem Zeitplan, den haben wir genau eingehalten. Die Produzenten gaben mir weniger Drehzeit. Ich wollte versuchen, damit auszukommen, denn die Studios riskieren eine Menge Geld. Ich brauche auch den Druck, einen Film in einer bestimmten Zeit abzudrehen. Es ging zunächst gut, aber dann mussten wir für einige Szenen Regen machen, Windmaschinen aufstellen, und der Himmel sah völlig anders aus als geplant und ich konnte ihn nicht digital nachbearbeiten. Ich musste umdisponieren, aber zwei Schauspieler waren noch bei einem anderen Film. So entstand eine extrem unangenehme Situation. Studios reagieren hysterisch in solchen Momenten. Aber wir haben es irgendwie geschafft.

Ausgerechnet für »Departed« haben Sie den Oscar bekommen, der immer an Ihnen vorbeigegangen war. Was bedeutete das für Sie?
Ich hatte ihn nicht erwartet, vor allem nicht für diesen Film. Ich mache meine Arbeit, aber wenn ich damit nie in ein Haus eingelassen werde, kann ich nichts machen. Ich wollte mir treu bleiben und hätte nie einen Film nach ihren Maßstäben gedreht, nur um den Oscar zu kriegen.

Was war für Sie das Besondere am Thema von »Shutter Island«?
Als ich das Buch beendet hatte, standen Tränen in meinen Augen. Ich habe mich gefragt, warum? Die übergroße Kraft des Leidens an den Schrecken des Krieges, die zu jeder bewaffneten Auseinandersetzung gehört, hat sich in mir festgesetzt. Es fällt mir schwer, darüber zu reden, aber einige Soldaten, die aus dem Irak-Krieg nach Hause zurückgekehrt sind, haben ihre Frauen umgebracht. Die Hauptfigur war aber auch Zeuge der schrecklichsten Verbrechen in den deutschen Konzentrationslagern, die die menschliche Spezies je begangen hat. Diese Traumata hat William Wyler erstmals in »Best Years of our Life« beschrieben. Einer der besten Filme aller Zeiten, der lange im Gedächtnis bleibt. Der Film Noir entstand aus diesem Trauma, denn wir können diese Seiten von uns nicht so einfach kontrollieren.

War es schwierig, die Balance zwischen seriösem Drama und Horror-Elementen zu finden, um die Auflösung nicht zu früh zu verraten?
Das hat mir lange Kopfschmerzen bereitet und war bis zum Schluss eine Herausforderung. Die Bilder sollten real und zugleich unreal sein, so dass sich der Zuschauer fragen muss, irgendwas stimmt hier nicht. Gleich zu Beginn, wenn zwei Männer mit einem Jeep durch ein Tor fahren. Nichts Dramatisches, aber die Musik spricht eine andere Sprache. So wollte ich einführen, dass der Film nicht gewillt ist, eine objektive Geschichte zu erzählen, sondern nur den Blickwinkel der Hauptfigur zeigt.

Zu Ihrer Zusammenarbeit mit Leonardo DiCaprio ist schon viel gesagt worden. Können Sie sie nochmals kommentieren?
Ich weiß nicht, was ich noch dazu sagen soll. Er ist ein junger Schauspieler, ein toller Schauspieler, der mir nach »Basketball Diarys« und »This Boys Life« von Robert De Niro empfohlen wurde. Wir sind Freunde geworden. Obwohl wir zu unterschiedlichen Generationen gehören, liebt er dieselben Filme und Filmemacher. Andererseits ist er durch »Titanic« eine Berühmtheit, die sich nicht frei bewegen kann. Und das seit zehn Jahren. Ich kann ihnen nicht genau sagen, was das in diesem Alter bedeutet. Aber wenn ich mit ihm unterwegs bin merke ich, es ist für ihn extrem schwierig.

Würden Sie ihre Freundschaft als Vater-Sohn-Beziehung einordnen so wie zu De Niro?
Robert De Niro und Harvey Keitel sehe ich eher als Brüder. Wir sind im selben Alter und wurden beruflich zusammen groß. Unsere Familien stehen sich sehr nahe. Diese Beziehung ist zu einer völlig anderen Zeit und einem völlig anderen Kontext entstanden und gewachsen. Aber Leo hat ähnliche Instinkte wie die beiden. Sie sind offen für ihre Umgebung und für andere Menschen. Was immer sie aufnehmen, sie geben es zurück. Leo ist wie ein Instrument, auf dem ich spielen kann, um zu sagen, schaut auf ihn und die Rolle. Er respektiert seine Figur und stellt sich in deren Dienst.

Im vergangenen Jahr war 3D der große Renner. Könnten Sie sich »Shutter Island« in dieser Technik vorstellen?
Der Film würde anders aussehen. 3D verändert die Bewegung der Kamera, das muss schon im Buch berücksichtigt werden und dann beim Dreh. Vielleicht wären die Effekte anders, etwa wenn Streichhölzer in einem dunklen Raum entzündet werden. Sie müssen sich nur als Pointierung der Handlung ins Bild einfügen, sind ein künstlerisches Mittel wie die Musik.

Also auch »Gangs of New York« in 3D?
Warum nicht? 3D entspricht der Verwirklichung eines alten Traums, an dem schon die Pioniere des Films, egal ob Lumière in Frankreich, Skladanowski in Deutschland gebastelt haben. Das Festival von Cannes arbeitet an der Restaurierung von Lumières frühen Filmen. Zwei Experimente zu 3D sind erhalten geblieben. Was heißt das? Der Mensch will naturalistische Bilder mit Farben und Geräuschen, die seiner Umgebung und dem Blickwinkel des Betrachters entsprechen. Er möchte so nahe wie möglich an der Wirklichkeit sein.

Interview: Katharina Dockhorn

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