Argentinien bringt Mord an Elisabeth Käsemann vor Gericht
Prozessbeginn gegen acht Folterknechte der Militärdiktatur
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich beim Umgang mit Argentiniens Militärdiktatur (1976-1983) nicht mit Ruhm beladen. Zudem hat sie die Fürsorgepflicht für deutsche Diktaturopfer vernachlässigt. Für Wolfgang Kaleck, Sprecher und Anwalt der deutschen Koalition gegen Straflosigkeit, ist die Nebenklägerschaft der BRD deshalb ein überfälliger Schritt: »Wir begrüßen es, dass sich die Bundesrepublik Deutschland ... einem derartigen Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen hat und mit einem eigenen Rechtsanwalt vertreten ist. Allerdings sollte man den mangelnden Einsatz der damaligen Regierung Schmidt/Genscher für Elisabeth Käsemann und die anderen deutschen Verschwundenen ebenso wenig vergessen wie die Einstellung des Verfahrens durch die Tübinger Justiz im Jahre 1980.«
Die acht Angeklagten müssen sich wegen mehrfachen Mordes und gewaltsamer Entführung in mehr als 100 Fällen verantworten. Sie waren in dem geheimen Gefangenenlager »El Vesubio« in einem Vorort von Buenos Aires tätig. Gegen den heute über 70-jährigen früheren Lagerkommandanten Pedro Durán Sáenz, einen der Angeklagten, hatte Deutschland nach Ermittlungen der Nürnberger Justiz einen Auslieferungsantrag gestellt, der allerdings abgelehnt wurde. Nun macht die Bundesrepublik von einer Besonderheit des argentinischen Rechtssystems Gebrauch, die Staaten als Nebenkläger zulässt.
Elisabeth Käsemann war nach ihrem Studium nach Argentinien gegangen und hatte sich dort in linken Bewegungen engagiert. Nach dem Militärputsch 1976 schloss sie sich dem Widerstand an und ging in den Untergrund. Am 8. oder 9. März 1977 wurde sie gemeinsam mit einer Kampfgefährtin in Buenos Aires verhaftet und zunächst in das Lager »Campo Palermo«, später nach »El Vesubio« gebracht. Nach wochenlanger Folterhaft wurde sie dort von den Militärs am 24. Mai 1977 ermordet.
Die argentinische Regierung behauptete seinerzeit, in der Nähe der Ortschaft Monte Grande, wo Käsemann und weitere 15 Personen tot aufgefunden wurden, habe ein Feuergefecht zwischen Militärs und Guerilla stattgefunden. Diese Nachricht wurde wegen eines Fußballspiels zwischen Argentinien und Deutschland jedoch erst am 6. Juni 1977 offiziell bekannt gegeben.
Spätere gerichtsmedizinische Untersuchungen in Deutschland belegten, dass Käsemann durch Schüsse aus unmittelbarer Nähe in Nacken und Rücken ermordet worden war. Ihre Familie, vor allem ihr Vater, der Tübinger Theologe Prof. Ernst Käsemann, hatten sich gegenüber der damaligen Bundesregierung vergeblich für ein größeres Engagement im Fall Käsemann eingesetzt. Die Familie musste schließlich 22 000 Dollar an die Militärs bezahlen, um den Leichnam zu bekommen. Elisabeth Käsemann wurde im Juni 1977 in Tübingen beigesetzt. Die Tübinger Staatsanwaltschaft stellte ein damals eingeleitetes Strafverfahren 1980 ohne nennenswerte Ermittlungen ein.
Der Mord an Käsemann hatte in Deutschland heftige Kritik ausgelöst. Dem Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft in Buenos Aires unter FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher wurde vorgeworfen, nicht alles getan zu haben, um Elisabeths Leben zu retten. Dass die Möglichkeit bestand, beweisen die fast zeitgleichen Verhaftungen einer französischen und einer US-amerikanischen Staatsbürgerin. Die beiden jungen Frauen kamen auf Betreiben ihrer Botschaften wieder frei.
»El Vesubio« war eines der ersten geheimen Gefangenenlager in der Provinz Buenos Aires, unterstellt dem 1. Heereskorps. Es lag auf einem Gelände, auf dem sich auch Haftanstalten des normalen staatlichen Strafvollzugs befanden und war nach dem Militärputsch im März 1976 als geheimes Lager übernommen worden. 1978 wurde es nach einer Visite der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte geschlossen. Bis dahin waren mindestens 400 Menschen dort festgehalten worden, darunter Elisabeth Käsemann.
In einem späteren Verfahren gegen den früheren Juntachef Jorge Rafael Videla wird der Mord an Elisabeth Käsemann ebenfalls verhandelt. Auch gegen den heute 84-jährigen, unter Hausarrest stehenden Videla wird die Bundesrepublik als Nebenklägerin auftreten.
Die deutschen Auslieferungsanträge für Sáenz und Videla waren von Argentinien unter Hinweis auf die eingeleiteten Verfahren abgelehnt worden. Diese Verfahren wurden erst möglich, nachdem Argentiniens Parlament im August 2003 die Amnestieregelungen aufgehoben hatte, die auf Druck der Militärs 1986 und 1987 ergangen waren und den Tätern weitgehende Straflosigkeit für den staatlichen Terror garantierten. Der Oberste Gerichtshof hatte die Annullierung der Amnestiegesetze im Juni 2005 bestätigt.
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