Benachteiligung durch Hukou soll endlich fallen

Chinesischer Volkskongress will auch über Wanderarbeiter beraten

  • Anna Guhl
  • Lesedauer: 4 Min.
Die diesjährige Tagung des Nationalen Volkskongresses Chinas beginnt am Freitag mit dem Rechenschaftsbericht von Regierungschef Wen. Ein Diskussionsschwerpunkt soll das Hukou-System sein.

Wenige Tage vor Einberufung der Jahrestagung gingen 13 einflussreiche Zeitungen tagesgleich in einem in Wortlaut und Aufmachung übereinstimmenden Editorial massiv und gezielt gegen das sogenannte Hukou-Systems vor. Unmissverständlich deklassierten sie die seit den 50er Jahren im Land bestehende Zweiteilung der chinesischen Gesellschaft in Land- und Stadtbürger als Überbleibsel aus vergangenen Revolutionstagen.

Die weiterhin geltende zweifache polizeiliche Registrierung in der Stadt und auf dem Land widerspräche nicht nur der geltenden Verfassung, sondern verweigere Millionen von Bürgern die Teilhabe an Wohlstand und sozialen Vergünstigungen, hieß es zu Beginn der Woche auf den Frontseiten jener Zeitungen. Eine derart abgestimmt Aktion, so Yao Yang von der Universität Beijing, habe es in der Geschichte der chinesischen Medien noch nicht gegeben.

Seit Jahren wird in der chinesischen Gesellschaft die Einführung einer einheitlichen polizeilichen Registrierung für alle chinesischen Bürger gefordert. Denn der Hukou in China ist mehr als nur eine polizeiliche Anmeldung, wie wir sie hierzulande kennen. Mit dem Stadt-Hukou sind zahlreiche soziale Vergünstigungen verbunden. Die Kranken- und Rentenversicherung beispielsweise, der subventionierte Schulbesuch für die Kinder, bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, ja selbst der unbürokratische Zugang zu Wohneigentum und eigenem Auto.

Jahr für Jahr werden daher vor allem am Vorabend der Tagungen des Volkskongresses die Stimmen in der Gesellschaft laut, die sich für die ersatzlose Streichung der Hukou-Bestimmungen einsetzen, um den rund 130 Millionen in den Städten lebenden Wanderarbeitern gleiche Rechte und Vergünstigungen zu gewähren wie den Städtern. Immer wieder mahnen Anwälte und Wissenschaftler im Land, dass diese Restriktionen nicht allein den sozialen Frieden bedrohen, sondern auch das gleichmäßige Wachsen von Gesellschaft und Wirtschaft behindern.

Das Hukou-System wurde Ende der 50er Jahre eingeführt, um die von ausländischer Aggression und Bürgerkrieg arg geschundene chinesische Wirtschaft in den Anfangsjahren der Volksrepublik erst einmal in Gang kommen zu lassen und den wenigen materiellen Reichtum kontrolliert zu verteilen. Doch inzwischen boomen die Wirtschaft und mit ihr das Vermögen und der Wohlstand im Land. Aber die Regierung tut sich weiterhin schwer mit der Einführung eines einheitlichen Anmeldeverfahrens und mit ihr die großen Städte. Müssten doch gerade sie ein Vielfaches an Subventionen aus ihren Haushalten für die Millionen Zugezogenen aufwenden.

In einem Online-Chat der einflussreichen Webportale der Regierung und der nationalen Nachrichtenagentur Xinhua am letzten Wochenende musste selbst Ministerpräsident Wen Jiabao zugeben, dass die seit Jahren in den Städten beschäftigten Wanderarbeiter den Bezug zu ihrer bäuerlichen Herkunft längst verloren haben. Sie arbeiten in Fabriken, auf dem Bau, sind im Transport oder im Dienstleistungsgewerbe tätig und aus dem Stadtbild längst nicht mehr wegzudenken. Hier müsse unbedingt ein Umdenken stattfinden. Das träfe vor allem auf die zweite Generation von Wanderarbeitern zu, die in der überwiegenden Mehrheit bereits in den Städten aufgewachsen ist.

In diesem Zusammenhang haben Juristen und Sozialwissenschaftler, die sich auf Initiative des Pekinger Anwalts Xu Zhiyong seit 2003 für mehr Gesetzestreue in den Verwaltungen und Verfassungsschutz in der chinesischen Gesellschaft einsetzen, dieser Tage auf die zum Teil dramatischen Folgen für die Kinder der Wanderarbeiter aufmerksam gemacht. Sie veröffentlichten einen Bericht, in dem das Schicksal von Schülern beschrieben wird, die in der Hauptstadt Beijing aufwachsen und zur Schule gehen und dann plötzlich für die Abiturstufe und zur Vorbereitung auf die Hochschul-Aufnahmeprüfung in die Heimatorte der Eltern zurückkehren müssen. Denn nach den derzeitigen Hukou-Bestimmungen dürfen Kinder von Eltern ohne Beijinger Hukou ihr Abitur nicht an Beijinger Gymnasien ablegen.

Doch in den Heimatorten der Eltern, die für sie weit weg und sehr fremd sind, verstehen sie oftmals nicht den lokalen Dialekt und rutschen in ihren Leistungen schnell ab. In Umfragen bezeichnen sich die Betroffenen selbst als »Getriebene im Räderwerk der offiziellen Parteipolitik«. Sie fühlen sich von Partei und Staat allein gelassen und in ihrer weiteren persönlichen Entwicklung gegenüber Gleichaltrigen in den Städten benachteiligt.

Yao allerdings bleibt skeptisch. Die Regierung werde, wenn überhaupt, die Restriktionen in den kleinen und mittleren Städten etwas lockern und deren Infrastruktur optimieren. Damit sollen, so Yao, die auch in den nächsten Jahren zu erwartenden Wanderarbeiterströme aus den Dörfern von den Ballungsgebieten weg verlagert und das weitere Wachsen der großen Metropolen verhindert werden.

Den Initiatoren um Anwalt Xu geht das nicht weit genug. Immerhin leben und arbeiten allein in Beijing mehr als fünf Millionen Menschen ohne polizeiliche Genehmigung. Sie sollten auch wie Beijinger Bürger behandelt werden, verlangen sie mit Nachdruck.

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