Friede, Freude, Eierkuchen
Christoph Matschie auf SPD-Landesparteitag wiedergewählt
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hatte offiziellen Angaben zufolge wegen der winterlichen Witterung erst gar nicht die Anreise von der Eifel in den ebenso verschneiten Thüringer Wald versucht und ließ sich entschuldigen. So war Landeschef Christoph Matschie, seit Anfang November Bildungsminister und Vize-Regierungschef in Erfurt, umso mehr der »Star« des Tages. Mit Seitenhieben gegen die »Chaotentruppe« in der Bundesregierung, einem Plädoyer für den »investierenden Sozialstaat« und einem Bekenntnis zur Bildung als »eigentliche soziale Frage des 21. Jahrhunderts« erntete er Beifall. Gegen die geplante Kopfpauschale kündigte Matschie Widerstand an. Mit ihrem Vorhaben einer einheitlichen Krankenversicherung demontiere die schwarz-gelbe Koalition in Berlin weiter den Sozialstaat, sagte er. Mit der Kopfpauschale würde viele Menschen »zu Bittstellern des Staates gemacht«. Der Parteitag bestätigte Matschie mit 78 Prozent in seinem Amt als SPD-Landesvorsitzender.
»Die soziale Frage löst man nicht durch den investierenden Sozialstaat«, hielt ihm die Juso-Landesvorsitzende Diana Lehmann entgegen: »Was ich vermisst habe, ist der Begriff der sozialen Gerechtigkeit.« Bildung allein könne die soziale Frage nicht lösen, so Lehmann. Das war indes der einzige kritische Redebeitrag in der kurzen Generalaussprache. Das durch die Abwesenheit der Generalsekretärin entstandene politische Vakuum nutzte Wirtschafts- und Arbeitsminister Mathias Machnig, um sich als neuer Senkrechtstarter der Landes-SPD in Szene zu setzen. Der »Neu-Thüringer« (O-Ton Machnig) und frühere SPD-Bundesgeschäftsführer, der weder Delegierter war noch für den Vorstand kandidierte, dozierte über die »Balance zwischen Fortschritt und Gerechtigkeit, Innovation und sozialem Ausgleich«, über Wirtschaftsdemokratie, Regulierung der Finanzmärkte und den Umbau Thüringens zum »Grünen Motor«, um die anhaltende Abwanderung Richtung Westen zu stoppen.
Dass diese Landes-SPD noch vor wenigen Monaten heftig über die Koalition mit der CDU gestritten hatte, war in Ilmenau kaum spürbar. So geriet auch die Antragsberatung weitgehend zur leidenschaftslosen Abstimmungsmaschine. Fast durchweg und ohne Großes Murren nahmen die Delegierten die Vorschläge der Antragskommission an. Einmütig rief der Parteitag auf Antrag des Landtagsabgeordneten Peter Metz die Mitglieder zu »friedlichen Massenblockaden« gegen den Naziaufmarsch in Erfurt am 1. Mai auf. Die erfolgreiche Dresdener Blockadeaktion vom 13. Februar könnte somit auch in Thüringens Hauptstadt Schule machen.
Als treibende Kraft und Gegenpol mit kritischen Anträgen und Wortmeldungen traten die Jusos in Erscheinung, die »neue Inhalte statt Personalkarussell« anstreben. Ihre Forderung nach Änderungen an den Hartz-Gesetzen wurde mit 50 zu 46 Stimmen abgelehnt. Diana Lehmann wurde in den Landesvorstand und als Delegierte zum Bundesparteitag gewählt.
Nach stürmischen Auseinandersetzungen im vergangen Herbst um den Eintritt in eine CDU-SPD-Regierung hatte Matschie Wert auf die Einbindung seiner einstigen Kritiker in den Landesvorstand gelegt. Dementsprechend wählten die Delegierten auch Anhänger eines »rot-rot-grünen« Bündnisses wie die Nordhäuser Kreisvorsitzende Dagmar Becker, Geras Oberbürgermeister Norbert Vornehm, Ronny Fritzlar und Brita Schweitzberger in das Gremium. Der Erfurter Oberbürgermeister Andres Bausewein, der ein Gegner der schwarz-roten Koalition war, wurde einer von vier Vizevorsitzenden. Matschie lobte dies als »Signal der Zusammenführung«.Vornehm zeigte sich auf ND-Anfrage zufrieden mir dem »Schulterschluss« und hob hervor, dass seit dem Eintritt der SPD in die Regierung der Rat von Oberbürgermeistern und Landräten in Erfurter Ministerien wieder gefragt sei.
Während Matschie in Ilmenau den »Politikwechsel« rühmte, sprach LINKE-Fraktionschef Bodo Ramelow von einem »Pyrrhussieg« und »Versagen« der SPD: »In Thüringen tut man so, als ob man eine alternative Politik entwickelt, während man den Koalitionspartner in Berlin alle Grausamkeiten vollziehen lässt.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.