Die brisantesten Fragen blieben ungestellt
Britischer Premier Brown hatte vor Irak-Ausschuss ein Heimspiel
Im Vergleich zu Blair genoss Brown ein Heimspiel. Nur wenige Antikriegsdemonstranten – darunter ein als Tod Verkleideter –, keine Pfiffe von den Zuschauerrängen, statt bohrendem Kreuzverhör höfliche Fragen, die der Schotte mit teils klugen, teils langatmigen Erklärungen beantwortete.
Den Tod britischer Soldaten und irakischer Zivilisten bedauerte er (anders als Blair), den unter Pentagon-Ägide katastrophal vermasselten Wiederaufbau Iraks kritisierte er scharf. Blairs informeller Regierungsstil mit kleinen Gesprächsrunden ohne Protokolle sowie dem Kassenwart sei nicht optimal gewesen, ließ Brown durchblicken. Auch den Gedanken, als Schatzkanzler den Truppen aus Sparsamkeitsgründen minderwertiges Kriegsgerät, wie die unzureichend gepanzerten Snatch-Landrover, angedreht zu haben, wie ihm von den früheren Stabschefs Lord Boyce und Lord Guthrie vorgeworfen wurde, konnte er entkräften. Den Militärs habe er jeden Wunsch erfüllt. Kurz: eine Profi-Vorstellung.
Allerdings blieben die wichtigsten, so vehement vorgetragenen Erklärungen anfechtbar. Ein gerechter Krieg, weil Saddam Hussein UNO-Resolutionen am laufenden Band ignoriert hatte? Hier blieb der Ausschuss stumm, als seine Mitglieder auf das Fehlen einer juristischen Grundlage für die Invasion, die mangelnde UNO-Unterstützung, die flehentliche Bitte der Waffeninspektoren nach mehr Zeit für die Suche hätten hinweisen müssen. Kann man von einem Erfolg der Invasion sprechen, wenn für die Menschen im besetzten Irak das Leben nach dem alliierten Sieg schlimmer war als unter der Diktatur? Was war mit den Regierungslügen, den angeblich so bedrohlichen Massenvernichtungswaffen, die es in Irak überhaupt nicht gab? Zumindest nicht, bis die USA-Truppen weißen Phosphor in der Großstadt Falludscha einsetzten. Wie sah Brown den von britischen Besatzern in Basra ausgeführten Mord am Hotelempfangschef Baha Moussa? Solche Fragen hätten Brown ins Schwitzen gebracht. Stattdessen fuhr er nach viereinhalb Stunden lächelnd vom Platz.
Die Reaktion auf Browns Stellungnahme war gespalten. Die Generäle, darunter Sir Richard Dannatt, neuer Militärberater des Konservativenchefs David Cameron, lehnten die Beschwichtigungen ab und forderten weiterhin mehr Geld für Kriegsgerät. Die Kriegsgegner hatten andere Sorgen. Andrew Burgin von »Truppenfamilien gegen den Krieg« befand, Brown habe nicht zum Krieg gedrängt, sei politisch weit weniger schuldig als Blair. John Rees von der »Koalition Stoppt den Krieg« urteilte dagegen, wenn Brown als zweitwichtigstes Regierungsmitglied gegen den drohenden Krieg aufgetreten wäre, hätte dieser verhindert werden können. Mag diese Theorie auch anfechtbar sein – die Bush-Krieger waren zur Invasion entschlossen – ein Konflikt ohne Alliierte hätte Washingtons Lage erschwert. Blair und Brown betrieben dagegen die Wiederwahl Bushs. So bezeichnete der linksliberale »Guardian« nicht seinen Auftritt 2010, sondern den März 2003, als britische Truppen in Irak einmarschierten, als Browns »historischen Augenblick«. Da habe Brown »versagt, weil er Schiss hatte«.
Weder Blair noch Brown brauchen juristische Sanktionen zu fürchten. Die bleiben dem Gefreiten Joe Glenton vorbehalten, der jetzt von einem Militärgericht als Deserteur zu neun Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Das Urteil gegen den durch früheren Kriegsdienst in Afghanistan sowohl gesundheitlich angegriffenen als auch politisch gereiften Glenton erging am gleichen Tag, an dem Brown seine Zeugenaussage machte. »Auch andere haben Kameraden vor ihren Augen sterben sehen – wo kämen wir hin, wenn sie alle desertieren dürften?«, befand seine Richterin. Dass Glenton wegen mutiger Reden auf Kundgebungen der Antikriegsbewegung bestraft wird, scheint erwiesen. Glenton geht in Berufung gegen das Urteil und die neun Monate Gefängnis, die ihm aufgebrummt wurden. Brown dagegen besuchte am Tag nach seiner Zeugenaussage seine Afghanistan-Truppen. Und Blair blieb zu Hause und arbeitete an seinen Memoiren.
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