Völlig an den Kundenwünschen vorbei

Das Schwarzbuch Deutsche Bahn fasst die Skandale aus dem Staatskonzern zusammen

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 3 Min.

Pannen, Peinlichkeiten und Unerhörtes über die Deutsche Bahn haben zwei Redakteure des ZDF-Magazins »Frontal 21« zusammengestellt. Die Aneinanderreihung der Beispiele kundenfeindlichen Verhaltens und des merkwürdigen Führungsstils in der staatseigenen Aktiengesellschaft wirkt, dezent ausgedrückt, beklemmend.

Natürlich haben wir schon häufig über Vorgänge wie die missglückten Börsenpläne, den Datenskandal, die Vernichtung von Infrastruktur und den ständigen Personalabbau gelesen, auch im »Neuen Deutschland«. Der Mehrwert des Schwarzbuches besteht darin, dass es dazu beiträgt, dass die Begebenheiten nicht in Vergessenheit geraten. Sie werden leidenschaftlich erklärt, und auch die Betroffenen kommen zu Wort. Gerade dies erlaubt einen Blick in das sonst verschlossene Innenleben der Bahn.

Am stärksten wirkt das Schwarzbuch in jenen Kapiteln, die erklären, wie und warum die Deutsche Bahn die Wünsche ihrer Kunden im Personen- und Güterverkehr missachtet, nur um endlich reif für den Kapitalmarkt zu werden. Im Abschnitt »Die Bahn und ihre Mitarbeiter« behandeln die Autoren akribisch den Datenskandal und vergessen dabei nicht, auf die anschließende Karriere der Geschassten hinzuweisen. Die scheinbar der Korruptionsbekämpfung dienende Schnüffelaktion ist nur halbherzig aufgeklärt worden, die als verantwortlich Bezeichneten fielen weich.

Im Kapitel »Das geheime Netzwerk der DB AG« geht es um den Einfluss von neun ehemaligen Amtsträgern, die als Berater für die Bahnchefs Ludewig und Mehdorn diskret, aber kräftig mitmischten. Als Beispiel für Erpressung anderer Politiker wird eine Drohung gegenüber der damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis aufgeführt, nur damit DB-Regio eine Ausschreibung gewann.

Wie sich andere sozialdemokratische Politiker (Bundeskanzler Schröder sowie die Verkehrsminister Klimmt, Bodewig und Tiefensee) verhielten, ist skandalös. Das Raubein Mehdorn durfte agieren, als gehöre ihm die Bahn. Die fatalen Folgen der Berger- und McKinsey-Beratungsseuche sucht man im Buch aber vergeblich.

Dafür wäre die Verwendung abgedroschener Floskeln wie »verschnarchte Beamten-Bundesbahn« und »marode DDR-Reichsbahn« verzichtbar gewesen, zumal die erste mit den Kunden mehr am Hut hatte als die in »Ticket-Automaten« verliebte Deutsche Bahn AG, und die zweite sich ihrer Leistungen im Personen- und Güterverkehr wie auch ihrer Fachleute rühmen kann.

Die Führungskräfte der Bahn dürften vom Schwarzbuch wenig amüsiert sein. Ob es dazu beigetragen hat, dass der aktuelle Vorstandsvorsitzender Rüdiger Grube (»Der Mann hat derzeit viel zu tun, denn es liegt eine Menge im Argen ...«) und Verkehrspolitiker das Unternehmen jetzt mit anderen Augen sehen? Grube äußerte im hochgelobten Berliner Hauptbahnhof, dieser sei »arschkalt«, und veranlasste, dass ein beheizter Warteraum gebaut wird. Laut Mitarbeiterbrief vom 12. Februar soll es mehr ICE-Züge sowie mehr Personal auf den Bahnhöfen und im Winterdienst geben! Der neuerdings bahnfahrende Verkehrsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Volker Schlotmann (SPD), sah sich die Bahnhöfe Grevesmühlen und Schönberg an und war schockiert. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gibt dem Börsengang in absehbarer Zeit keine Chance. Er meinte, die Bahn solle stärker auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen. Was sich verändern muss, kann er im Schwarzbuch nachlesen.

Christian Esser, Astrid Randerath: Schwarzbuch Deutsche Bahn, Verlag C. Bertelsmann, München 2010, 300 S., 19,95 €.

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