Chemieprofessor mit Modelleisenbahn
Der 63-jährige Utz-Hellmuth Felcht wird neuer Vorsitzender des Bahn-Aufsichtsrats
Die letzten Aufsichtsratsvorsitzenden des Staatskonzerns Deutsche Bahn AG waren von SPD-Gnaden abhängig. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CDU) hat sich nun für den Westfalen und Honorarprofessor an der Uni München, Utz-Hellmuth Felcht, entschieden. Er löst im April Werner Müller, derzeit auch Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG (RAG), als Bahnvorstand ab. Damit verstummen die Gerüchte um die acht bisher diskutierten Kandidaten, die abwechselnd von der FDP oder der Union abgelehnt wurden oder gleich selbst die Hände hoben.
Felcht verließ 1998 den Chemiekonzern Hoechst, als der zum Pharmaunternehmen werden sollte, und wurde Chef der in der Degussa aufgegangenen SKW Trostberg AG. SKW ist die Abkürzung für Süddeutsche Stickstoff- und Kalkwerke. 2006 verließ Felcht den Degussa-Vorstand vorzeitig, als RAG (heute Evonik) die Degussa übernahm und Felcht somit von Müller entmachtet wurde.
Der neue Aufsichtsratsvorsitzende Felcht wird als sturer Charakter beschrieben, dessen harmlos wirkender Professorenhabitus nur Schein sei. Er trete freundlich auf und lasse sich beraten, sei jedoch hart in der Sache. Was ihn als obersten Kontrolleur der Deutschen Bahn empfahl, ist rätselhaft. Vielleicht ist es die Freude an Modelleisenbahnen oder weil Merkels Ehemann ebenfalls Chemieprofessor ist? Jedenfalls soll die Chemie zwischen Felcht und Ramsauer stimmen. Und der Kandidat hat als Vorsitzender eines Chemieverbandes Verbindung zur Bundespolitik.
Der Bahn-Aufsichtsratsvorsitzende verkörperte stets die politischen Machtverhältnisse. Unter Kohl wurden die CDU-Günstlinge Günther Saßmannshausen und der vormalige Bahnchef Heinz Dürr Aufsichtsratsvorsitzende. Von Gerhard Schröder kamen die SPD-nahen Manager Michael Frenzel und Dieter Vogel auf diesen Posten. Dem behagten Hartmut Mehdorns Sparideen sowie dessen Auftreten nicht, so dass Schröder schließlich seinen ehemaligen Wirtschaftsminister Werner Müller holte. Der parteilose RAG-Chef fiel, bis zur Säuberung wegen der Schnüffel-Affäre, nicht weiter auf. Mit dem neuen Bahnchef Rüdiger Grube konnte er im Sommer 2009 zeigen, was ein Kontrolleur des DB-Konzerns darf. Dass Müller unter der schwarz-gelben Herrschaft nicht bleiben kann, war gewiss.
Der Aufsichtsratsvorsitzende vertritt die Interessen des Eigentümers, und der ist die Bundesrepublik Deutschland. Nun kommt einer ohne das Etikett des Sanierers. Manche sagen allerdings, die Wahl sei peinlich, Felcht entspreche der »Reclam-Ausgabe eines Managers«. Die Bahngewerkschaften hoffen, er werde sich für den Erhalt des Konzerns einsetzen. Anton Hofreiter, Verkehrspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen, hofft auf einen Kurswechsel: Das Kerngeschäft sei der Betrieb in Deutschland und nicht der Paketdienst in Hongkong.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.