500 Kilometer bis zur neuen Grube

Saarländische Kumpel arbeiten künftig bei Osnabrück, weil in ihrer Heimat die Bergwerke schließen

  • Armin Leidinger, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Ende des Bergbaus im Saarland nimmt konkrete Formen an. Im April wechseln die ersten 80 Mitarbeiter des letzten verbliebenen saarländischen Steinkohlebergwerks nach Ibbenbüren in Nordrhein-Westfalen. Mitte 2012 soll die Kohleförderung im Bergwerk Saar eingestellt werden.

Ensdorf. Freiwillig hätte Ralf Brossette das Saarland wohl nie verlassen. Jetzt aber muss der Bergmann diesen Schritt tun. Denn auch das letzte verbliebene Steinkohlebergwerk an der Saar wird in absehbarer Zeit den Betrieb einstellen. Deshalb zieht er der Arbeit hinterher. Und die gibt es in Ibbenbüren bei Osnabrück 480 Kilometer von zu Hause entfernt.

Seit über 250 Jahren wird auf dem Gebiet des heutigen Saarlands Kohle gefördert. Nach einem schweren Grubenbeben im Februar 2008 steht jedoch fest, dass es ab Mitte 2012 an der Saar keinen Bergbau mehr geben wird. Und schon im April wechseln die ersten Bergleute nach Nordrhein-Westfalen. Die Verlegung der Mitarbeiter an andere Standorte der RAG Aktiengesellschaft ist eine der Maßnahmen, die helfen sollen, das Ende des Bergbaus im Saarland sozialverträglich zu gestalten. Der 43-jährige Brossette gehört zu den ersten Bergleuten, die umziehen. Schon mehrmals hat der Bergmann, der seit 1982 unter Tage arbeitet, den Arbeitsplatz gewechselt. Immer dann, wenn ein saarländisches Bergwerk schließen musste. Doch jetzt, da klar ist, dass auch das Bergwerk Saar in Ensdorf nicht mehr lange Kohle fördern wird, gibt es keine Alternative mehr: Brossette muss seine Heimat verlassen. Zurück bleiben seine Freundin und deren elfjähriger Sohn, mit denen Brossette zusammenwohnt. Da er nicht verheiratet ist und auch keine leiblichen Kinder hat, gehört er nicht zu den Familienvätern, die laut Sozialplan einen besonderen Schutz genießen und erst später versetzt werden.

Über sechs Stunden Fahrt

»Meine Lebenspartnerin und ich sind zu dem Entschluss gekommen, dass es für mich das Beste ist, nach Ibbenbüren zu wechseln«, sagt Brossette. Auch im Saarland habe er sich umgesehen, aber dort hätte er wohl nur einen Einjahresvertrag bekommen können. »In Ibbenbüren habe ich bis zum Ruhestand sicher Arbeit.«

Die Freundin wird im Saarland bleiben, habe dort einen guten Job. »Außerdem betreut sie ihren kranken Vater, und der wohnt direkt gegenüber«, sagt Brossette. Angenehm wird es sicher nicht, einmal die Woche die fast 500 km nach Ibbenbüren zu pendeln. Trotzdem will Brossette seine Lieben so oft wie möglich sehen und die Autofahrten auf sich nehmen. »Je nach Verkehr brauche ich zwischen viereinhalb und sechseinhalb Stunden«, meint er. Auch finanziell sei der Umzug eine Belastung. Dennoch kann er es bis zu einem gewissen Grad verstehen, dass der Steinkohlebergbau im Saarland nicht mehr weitergeführt wird. Ein solches Grubenbeben wie 2008 dürfe nicht passieren, sagt er. Im nördlichen Nordrhein-Westfalen wird er schon bald versuchen, sich zu integrieren. Schon alleine, weil er sein Hobby pflegen will. »Als Sportschütze muss ich meine Trainingseinheiten absolvieren«, sagt Brossette. Zuhause ist er im Vorstand des Schützenvereins und dort für die Munitionseinkäufe zuständig. Das wird nun bald nicht mehr gehen. »Mitglied bleibe ich trotzdem« sagt er. Wenn er mit 50 Jahren in den Vorruhestand gehen kann, will Brossette zurückkehren.

Ins Ungewisse

Momentan hat er jedoch andere Sorgen. »Ich hoffe vor allem, dass ich von den Bergleuten in Ibbenbüren gut aufgenommen werde. Manche meiner saarländischen Kollegen kenne ich schon seit zwanzig Jahren. Das ist jetzt schon etwas Neues.« Das Bergwerk selbst hat er noch nicht gesehen, eine neue Wohnung aber schon gefunden. »Die ist soweit auch schon eingerichtet, da kann ich im April problemlos einziehen«, sagt Brossette. Im März hat er noch einige Tage Urlaub. »Da überleg ich mir, was ich beim Umzug noch mitnehme.« Danach beginnt für ihn die Fahrt ins Ungewisse.

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