Zwischen den Fronten, hilflos

Waffenstillstand - von Lancelot von Naso

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Martin Scorsese wurde anlässlich der Premiere seines »Shutter Island« auf der Berlinale vorgeworfen, er verwende den Holocaust als bloßen Hintergrundfaktor, als menschliche Katastrophe von hinreichendem Ausmaß, um das verheerende psychische Trauma seines Helden zu motivieren. Juan José Campanella macht in seinem eben Oscar-prämierten »El secreto de sus ojos« dasselbe mit der argentinischen Militärdiktatur: Sie ist ihm wenig mehr als ein dramaturgischer Kniff, um das Liebespaar auseinander zu bringen und den Bösewicht vorzeitig aus dem Gefängnis in die Freiheit zu entlassen.

Dem deutschen Debütfilm »Waffenstillstand« von Lancelot von Naso könnte man dasselbe vorwerfen. In Marokko gedreht, aber im Irak-Krieg angesiedelt und an reale Begebenheiten zumindest angelehnt, benutzt er das Bombardement des Zivilkrankenhauses von Falludscha zur Osterzeit 2004 als Anlass für ein Road Movie mit Action-Sequenzen, für einen Genre-Film, der tief in die Klischeekiste der Figurenkonstellationen greift. Und andererseits ein paar grundsätzliche Fragen zum ethischen Verhalten in Kriegszeiten aufwirft, die zwar auch nicht neu sind, dadurch aber nicht weniger brennend aktuell werden.

Weil das Krankenhaus in Falludscha, das er leitet, akut mit Blutkonserven, Verbandszeug und Medikamenten unterversorgt ist, macht sich der Elsässer Arzt Alain Laroche (Matthias Habich) mit einer Versorgungslieferung auf den absurd gefährlichen Weg zurück von Bagdad nach Falludscha, die Hochburg des sunnitischen Widerstands und unter ständigem Bombardement durch die Amerikaner. Ein Karfreitags-Waffenstillstand von gerade mal 24 Stunden gibt ihm und seiner niederländischen Kriegsfreundin Kim (Thekla Reuten), Mitarbeiterin einer internationalen Hilfsorganisation – man lernte sich beim Einsatz in Somalia kennen – ein kurzes Zeitfenster, um in die belagerte Stadt zu gelangen.

Offizielle Passierscheine werden ihnen verwehrt, also sorgt Kim dafür, dass sie jedenfalls die Medien an Bord haben, denn welch’ amerikanischer Militärsbefehlshaber würde schon vor laufender Kamera eine Hilfslieferung abweisen wollen? Die beiden deutschen Journalisten, der unbedarft-idealistische Nachwuchsreporter Oliver (Max von Pufendorf) und sein kriegserfahren-skeptischer Kameramann Ralf (Hannes Jaenicke), erwarten einen Konvoi unter waffenstarrender Blackwater-Deckung. Stattdessen taucht am Treffpunkt ein hochbeladener weißer Kleinbus auf, der nicht einmal gepanzert ist. Aber die Konkurrenz unter den internationalen Kriegsberichterstattern ist groß und Oliver ehrgeizig, also fährt man mit.

Zur Umgehung der amerikanischen Checkpoints auf der Schnellstraße benutzen die vier immer abgelegenere Routen durch die Wüste, fragen sich misstrauisch, ob dem einheimischen Fahrer Husam (Husam Chadat) wohl zu trauen sei, ducken sich instinktiv bei jedem fernen Bombenknall und erweisen sich im Gespräch über ihre Arbeit im Kriegsgebiet als menschliche Skala der Schattierungen von Idealismus und Resignation, von Landeskenntnis und Unbedarftheit. Jede Ziegenherde, die die Straße versperrt, könnte eine Falle sein und der Heckenschütze auf dem nächsten Hausdach lauern. Es gibt Ortsdurchfahrten, bei denen Stille ein ominöses Zeichen ist und sich die Mienen erst entspannen, als eine Horde johlender Kinder aus einer Seitenstraße auftaucht. Eine Erleichterung, die genau so lange anhält, wie die Kinder brauchen, um Steine zu sammeln, mit denen sie den Bus bewerfen.

Habich leiht dem Arzt Laroche nicht nur sein wunderbar lebens- und wettergegerbtes Gesicht, sondern flucht auf Französisch, erklärt dann das akzentfreie Deutsch seiner Figur mit einem Studienaufenthalt in Heidelberg und zitiert auch noch Camus (»niemand ist unschuldig«). Auf die Reporterfrage, was denn in einer Situation wie der gegenwärtigen zu tun sei, antwortet er mit der Botschaft des Films: »Man sollte keine Angriffskriege führen, basta. Man sollte keine Soldaten zu Polizisten machen. Man sollte keine unschuldigen Menschen mitten in der Nacht aus dem Bett zerren und willkürlich verhaften. Man sollte die Menschenwürde achten. Und die Genfer Konventionen einhalten. Man sollte vor allen Dingen keine Worte drüber verlieren müssen.«

Dass sein Laroche als Kapitän seines Krankenhauses dann wohl mit dem havarierten Schiff untergehen wird, dass der einzige der vier, der nie wirklich Teil der Expedition sein wollte, am Ende dran glauben muss, das Kriegslieben nicht halten und journalistischer Ehrgeiz zu genau der Mitschuld führen kann, von der im Camus-Zitat die Rede war, das ist dann auch nichts Neues. Vielleicht einfach deshalb, weil es durch die Wirklichkeit immer wieder bestätigt wird.

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