Wenig Chancen für Boliviens Opposition
Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus großer Favorit bei österlichen Regionalwahlen
Über fünf Millionen Bolivianer sind am Ostersonntag zum Urnengang aufgerufen. Es handle sich um einen »sehr umfangreichen und auf diese Art erstmaligen Wahlgang«, sagt Antonio Cossio, der Präsident des Nationalen Wahlgerichts (CNE). Er entscheidet auf einen Schlag über viel Personal: die Präfekten der neun Departamentos, 144 Abgeordnete der Regionalparlamente, 337 Bürgermeister, 1887 Stadträte, 23 indigene Lokalvertreter sowie unzählige Provinzverwalter und Magistrate. Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens werden die Volksvertreter der Autonomie-Regierungen in Departamentos, Provinzen und Kommunen direkt gewählt. Die umfassende Dezentralisierung Boliviens ist in der neuen Verfassung zur »Neugründung Boliviens« festgeschrieben, die im Januar 2009 durch ein Referendum bestätigt worden war.
Auf dem Spiel steht wie immer viel. Doch fast fünf Monate nach Evo Morales' fulminanter Wiederwahl zum Präsidenten – der MAS-Chef erhielt im Dezember 64 Prozent aller Stimmen und gewann die Zweidrittelmehrheit in Parlament und Senat – könnten die Karten ungleicher nicht verteilt sein. Während die Regierungspartei auf eine weitere Festigung ihrer »demokratisch-kulturellen Revolution« hofft, kämpft das rechte Lager ums Überleben. Letzte Prognosen gehen davon aus, dass am Wahlsonntag fünf der neun Departamentos an Morales und dessen Verbündete fallen. Laut Umfrage der Tageszeitung »La Razón« sind La Paz, Cochabamba, Potosí, Oruro und Pando fest in MAS-Hand.
Selbst die Oppositionshochburg Santa Cruz, wo der amtierende Präfekt Rubén Costas gegen den Universitätsrektor Jerjes Justiniano antritt, scheint zu wanken. Morales-Hasser Costas liegt bei 45 Prozent, MAS-Neuling Justiniano bei 35. Es verwundert darum nicht, dass Zuckerplantagen-Besitzer Costas milde Töne anschlägt. 2008, auf dem Höhepunkt des sezessionistischen Aufbegehrens des boomenden Tieflandes gegen La Paz, hatte er Morales noch als »Ihre Exzellenz Herr Mörder« beschimpft. Das klingt heute ganz anders. »Mit der Regierung muss es Gemeinsamkeiten geben. Wir können nicht immer Tom und Jerry spielen«, scheint auch der Präfekt Santa Cruz die neuen Realitäten begriffen zu haben.
Morales hat eitles Gerangel und strategische Uneinigkeiten im »Halbmond«, dem einstigen Bündnis der Tiefland-Präfekten, geschickt ausgenutzt und Teile der zersplitterten Opposition ins eigene Lager gelotst. Seiner eigenen Basis treiben derweil die neuen Bündnisse Sorgenfalten auf die Stirn. Die Aufnahme der Jugendunion Santa Cruz (UJC) ins Regierungslager beispielsweise stößt auf heftige Kritik. Nicht ohne Grund. Immerhin agierte die faschistische Schlägertruppe im Auftrag des Unternehmerverbandes »Bürgerkomitee Pro Santa Cruz«. Noch vor Monaten veranstalteten die UJCler, mit Hakenkreuzen und Baseballschlägern bewaffnet, Straßenjagden auf MAS-Sympathisanten. Heute sollen sie den »Prozess des Wandels« verteidigen.
Auch Bürgermeisterkandidat Roberto Fernández, den die »Regierung der sozialen Bewegungen« in der Millionen-Metropole Santa Cruz ins Rennen schickt, erfreut sich bei der Basis nur geringer Beliebtheit. Dem Sohn eines Millionäres und Biermagnaten misstrauen viele zutiefst.
In Chuquisaca und im erdgasreichen Tarija ist alles offen, die Chancen stehen 50:50. In Beni an der Grenze zu Brasilien werden wohl wieder die Viehzüchterfamilien das Rennen machen. Die medienwirksamen, aber abstrusen Vorschläge der MAS-Kandidatin Jéssica Jordan, einer ehemaligen Schönheitskönigin, die Straffällige zwecks Besserung zum Schuften in die Minen des Hochlands schicken will, haben hier mehr Schaden als Nutzen angerichtet.
Entscheidend für den Wahlausgang wird letzten Endes sein, ob es der MAS wieder gelingt, ihre Stammwähler zu mobilisieren. Immerhin sind 20 Prozent aller Bolivianer noch unentschlossen. Etliche MAS-Kandidaten sind unbekannt und haben wenig Erfahrung. Doch sind sich Beobachter einig: Die anhaltend hohe Popularität von Präsident Evo Morales wird wohl – wie gehabt – den Ausschlag geben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.