Grausamkeit hinter Glitter

Aktionstag für eine Welt ohne »Tierausbeutung« in Kiel

  • Susann Witt-Stahl, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt war am Samstag Schauplatz eines Tierrecht-Aktionstages.
»Die-In« von Tierrechtsaktivisten in der Kieler Innenstadt
»Die-In« von Tierrechtsaktivisten in der Kieler Innenstadt

Belagerungszustand in der Kieler Innenstadt. Mehr als 200 Tierrechtsaktivisten verteilen sich vor Konditoreien, Fischrestaurants, Steakhäusern, Schuh-, Reitsport- und Jagdgeschäften, um via Megafon, Transparenten und Plakaten gegen die »Degradierung fühlender Individuen zur Ware« zu demonstrieren. Von den Aktivisten, deren Großteil aus dem linksautonomen Spektrum stammt, erfahren die Passanten vieles, was sie wohl lieber nicht wissen wollen. Zum Beispiel: Weil männliche Küken für die Eierproduktion nutzlos sind, werden sie in den Zuchtbrütereien lebendig zu einem blutigen Mus zerquetscht.

»Wir wollen deutlich machen, dass das Ausmaß von Tierausbeutung weit über das Robbenschlachten hinaus geht«, erklärt Markus Jensen, Sprecher des Tierbefreiungs-Netzwerks Nord, das den Aktionstag organisiert hat. »Der reibungslosen Inszenierung und Ästhetisierung einer durchrationalisierten Warenwelt, in der die Grausamkeit des Schlachthofs hinter dem Glitter der bunten Einkaufsmeilen verschwindet«, so Jensen weiter, »kann nur mit schonungsloser Aufklärung begegnet werden.«

Dafür haben sich die jungen Leute – die nicht nur aus Schleswig-Holstein kommen, sondern auch aus Hamburg, Berlin, Hannover, aus dem Münsterland, Magdeburg und Leipzig angereist sind – eine Menge einfallen lassen: Männer in Kuhkostümen verteilen Flugblätter mit Informationen über die Qualen der Tiere in der Milchproduktion. Aber die Tierrechtler wollen nicht bloß schockieren, sondern auch Alternativen aufzeigen: Auf einem kleinen Markt können die Verbraucher vegane Burger, Kuchen, Torten probieren und erfahren, womit sie beim Kochen Eier problemlos ersetzen oder wo sie lederfreie Schuhe kaufen können.

Die Aktion stößt bei den Passanten auf geteiltes Echo. Einige schütteln mit dem Kopf. Andere sprechen ihr Unverständnis aus: »Gegen Tierquälerei bin ich auch. Aber das hier ist völlig übertrieben«, sagt eine ältere Frau verärgert. »Aber Tiere werden doch nicht geboren, um geschlachtet zu werden«, hält Jana Meffert entgegen. Die 35-jährige Kielerin unterbricht die Fahrradtour mit ihrer kleinen Tochter, um den Tierrechtlern zu sagen, dass sie ihre Proteste gut findet und unterstützt.

Das Gitarren- und Gesangsduo von der Band True Nature aus den USA, die gerade auf Europa-Tournee ist, intoniert derweil den Song »One Spezies«, mit dem sie an die tiefe Verbundenheit von Mensch und Tier in der Fähigkeit zu leiden erinnern wollen. »Go Vegan!« lautet ihr Appell an die Menschen, die sich um die Musiker versammelt haben. Viele von ihnen zeigen sich bewegt, als Hip-Hop-Künstler Albino Zeilen, wie »ich stelle mich gegen die Mordsmaschine, weil ich jedes Leben liebe«, rappt und einen Sample abspielt mit dem Rudi-Dutschke-Zitat: »Wir können etwas ändern – die Geschichte ist kein Kreisel.«

Den Höhepunkt des Aktionstages bildet ein Protestmarsch durch die Fußgängerzone mit großen Bannern, auf denen Parolen wie »Artgerecht ist nur die Freiheit« zu lesen sind. Plötzlich legen sich alle Tierbefreiungsaktivisten zu einem massenhaften »Die-In« auf den Boden – bis auf einen, der sich als Tod verkleidet hat. Der Sensenmann zeigt mit seiner Knochenhand immer wieder auf ein Modegeschäft. Den Grund verraten die Sprechchöre der Demonstranten: »Blut klebt an Euren Händen«, skandieren sie immer wieder vor den Schaufenstern und kündigen an: »Wir machen Euch pelzfrei!«

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -