Oberster Kinderschützer unter Verdacht
Awo beschäftigt sich mit Vorwürfen des Missbrauchs und der Misshandlungen in Pinneberger Heim
Der Aufenthalt in einem Kinderheim vor 40 oder 50 Jahren konnte eine im wahrsten Sinne des Wortes schmerzhafte Erfahrung bedeuten – auch wenn das Heim unter der Regie der Arbeiterwohlfahrt (Awo) stand.
Dies belegen Offenbarungen, die derzeit in Pinneberg aufgearbeitet werden. Wie viele andere Fälle sind auch diese bereits strafrechtlich verjährt. Im Fokus der Anschuldigungen steht der Sozialdemokrat Horst Hager, der von 1961 an insgesamt 33 Jahre lang das Awo-Heim leitete. Zwischen 1992 und 2001 war er unter den SPD-Ministerpräsidenten Björn Engholm und Heide Simonis gar Kinder- und Jugendbeauftragter der Landesregierung von Schleswig-Holstein.
Vor diesem Hintergrund wiegen die Vorwürfe umso härter. Ehemalige Heimkinder berichten, dass Hager selbst Schläge ausgeteilt beziehungsweise nichts unternommen habe, als ihm Übergriffe von anderen Mitarbeitern zugetragen wurden. Offenbar wollte er das Image der Awo nicht beschädigen. Die zeigt sich inzwischen reumütig und hat über den Landesverband bei den Betroffenen um Verzeihung gebeten.
Seit 1958 trug der Wohlfahrtsverband die Verantwortung für das Kinderheim am Haidkamp. Bis 1947 diente die Einrichtung als Kreisirrenanstalt, wie man damals sagte. Einer der ersten Bewohner des Heims war Hubert M., der heute vom »Haus der toten Seelen« spricht, wenn er sich an seinen Aufenthalt dort von 1958 bis 1961 erinnert. Der 65-Jährige schreckt noch heute nachts plötzlich auf und erinnert sich der traumatischen Erlebnisse von damals. Noch viele Jahre nach seiner Entlassung war er in psychischer Behandlung.
Besondere Angst hatten die Kinder damals vor dem inzwischen verstorbenen Erzieher Heinz R. Regelmäßig machte er sich Jungen gefügig. Hatte jemand zum Beispiel etwas ausgefressen, versprach R., gegen sexuelle Handlungen den drohenden Arrest fallen zu lassen. Dem offenkundigen Päderasten wurde zwar 1967 von der Awo gekündigt, als er während eines Zeltlagers auf frischer Tat ertappt wurde, doch eine Anzeige bei der Polizei unterblieb. Die uniformierten Beamten bekam man auf dem Heimgelände nur dann zu sehen, wenn Jugendliche, die abgehauen waren, wieder zurückgebracht wurden.
Bei all den Anschuldigungen handelt es sich offenbar um keine Einzelfälle, bestätigt Joachim A. Schmeißer, Heimzögling von 1963 bis 1970. Er sei zwar selbst kein Opfer, »weil ich mich gewehrt habe und die wegen meiner körperlichen Robustheit Angst hatten«, aber oft genug Zeuge von entsprechenden Vorfällen gewesen. So bestätigt er die Schilderungen früherer Mitbewohner und nennt die Namen weiterer Erzieher.
Schlimm für Schmeißer war auch, dass den Opfern kein Glauben geschenkt wurde. Als sich etwa sein Freund im Jahr 1966 dem Heimleiter Hager diesbezüglich anvertraute, ordnete dieser an, den Freund aus der offenen Einrichtung in Pinneberg in ein geschlossenes Heim in Hamburg zu verlegen. Gegenüber der örtlichen Redaktion des »Hamburger Abendblatts« hatte der heute 77-jährige Hager eingeräumt: »Ich schließe nicht aus, dass mir mal die Hand ausgerutscht ist.« Auf Nachfrage streitet er inzwischen alle Vorwürfe ab und spricht von einer »üblen Kampagne« gegen ihn. Klaus Theißen vom Awo-Bundesverband sagt: »Wir tun gut daran, den Opfern zu glauben.« Hager, der in seiner Dienstzeit darauf achtete, dass es sich beim Personal auch ja um Awo-Mitglieder handelte, hat den Verband inzwischen verlassen, weil er sich mehr Unterstützung erhofft hatte. Von der SPD des Landes, die sehr wohl auch Hagers politische Verdienste sieht, heißt es, er sei gut beraten, aktiv zur Aufklärung beizutragen.
Wie unangenehm das Aufrollen der Vergangenheit sein muss, wird auch daran deutlich, dass von einem Rechner der Christian-Albrechts-Universität in Kiel versucht wurde, Interneteinträge zu den Pinneberger Geschehnissen im Forum der Homepage www.kinderqualen.de zu löschen. Dort wird unter anderem diskutiert, welche Verantwortung die Jugendämter bei der Ausstellung von Einweisungsverfügungen getragen haben.
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