- Politik
- Fragwürdig
Ist die LINKE im Börsenfieber?
Warum in Berlin ein Wohnungsunternehmen an den Aktienmarkt soll / Jutta Matuschek ist haushaltspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
ND: Am Montag wird das Berliner Abgeordnetenhaus über den umstrittenen Börsengang des Wohnungsunternehmens GSW abstimmen. Die Linksfraktion hat Zustimmung signalisiert. Warum will ausgerechnet Rot-Rot 50 000 Wohnungen an die Börse bringen?
Matuschek: Wir bringen keine einzige Wohnung an die Börse, das machen die privaten Eigentümer, die 2004 die GSW vom Land gekauft haben. Das Parlament entscheidet aber unter anderem darüber, ob die mit ihnen damals vereinbarten Mieterschutzklauseln bei einem Verkauf an der Börse weiter Gültigkeit haben.
Was würde passieren, wenn der dazu zwischen dem Finanzsenator und den GSW-Eigentümern ausgehandelte Ergänzungsvertrag am Montag keine Mehrheit bekommt?
Dann besteht die Gefahr der Zerschlagung der GSW und des Verlustes der 2004 vereinbarten zusätzlichen Mieterrechte. Denn die Eigentümer könnten bereits jetzt 50 Prozent der GSW und bei Zahlung einer Vertragsstrafe auch das komplette Unternehmen an die Börse bringen. Durch die Aufsplittung der Eigentümerstruktur wäre dann auch kein Ansprechpartner mehr vorhanden, mit dem man über Mieterschutzrechte sprechen könnte. Stimmt die Koalition dem Ergänzungsvertrag zu, gehen alle Verpflichtungen auf die künftige GSW-Aktiengesellschaft über. Die GSW bleibt also als einheitliches Unternehmen erhalten, was auch nicht unwichtig ist für die Mieter.
Trotzdem warnt der Mieterverein, dass durch den Börsengang die soziale Funktion der Wohnungen nicht mehr gewährleistet ist.
Es ist richtig, vor Privatisierungsprozessen im Wohnungsbereich zu warnen. Wir haben mit der GSW aber schon ein privatisiertes Unternehmen, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rendite- über Mieterinteressen dominieren. Doch mit dem Zusatzvertrag sind die Mieterinteressen beim Börsengang besser gewahrt als ohne. Durch die vertraglichen Verpflichtungen können Anleger zum Zuge kommen, die statt an kurzfristiger Rendite an langfristiger Wertsteigerung interessiert sind.
Die Mieterschutzklauseln gelten weiterhin nur bis 2014. Hätte der Finanzsenator nicht etwas mehr herausholen können?
Der Finanzsenator war erfolgreich, weil er die Mieterrechte gesichert hat, eine Nachzahlung von 30 Millionen Euro für Berlin erreichte und im Ergebnis des Börsengangs 100 Millionen Euro in die GSW investiert werden, was auch nur gut sein kann für die Mieter.
Grüne und CDU wollen dem Börsengang nicht zustimmen, bei der SPD gibt es Bedenken – ist es peinlich, dass die Linkspartei plötzlich auf einer Linie mit der FDP liegt?
Die FDP will zustimmen, weil sie Börsengeschäfte insgesamt gut findet. Wir haben Probleme mit Börsengeschäften, wollen aber Mieterrechte schützen. Die CDU will mehr Gewinn für die Entschuldung des Landes herausschlagen, die Grünen plädierten schon 2004 für die Zerschlagung der GSW in kleine Unternehmen. Und die SPD wird sicher mit uns dem Ergänzungsvertrag zustimmen.
Im Zuge der Rekommunalisierungsbestrebungen könnte man erwarten, dass Berlin selbst wieder bei der GSW einsteigt.
Der Fehler von 2004 ist nicht rückgängig zu machen. Aber wir lassen seit damals keine Privatisierungen mehr zu. Vielmehr können, wenn es ihre wirtschaftliche Situation zulässt, unsere sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen hinzukaufen. Das müssen aber nicht die der GSW sein – wir brauchen Wohnungen, keine Aktien.
Fragen: Bernd Kammer
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.