Wahlkampf per Kabinettsbeschluss
Bundesregierung billigte Gesetzespaket zum Arbeitsmarkt, BAföG-Erhöhung und Stipendien für Begabte
Das weitaus wichtigste Vorhaben ist das am Mittwoch beschlossene Gesetzespaket zum Arbeitsmarkt. Ausgangspunkt war die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuordnung der Jobcenter zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen. Mit Hilfe der Opposition soll nun das Grundgesetz geändert werden, um die vom Gericht monierte »Mischverwaltung« von Bund und Kommunen auf eine rechtsfeste Basis zu stellen. Drei Viertel der Jobcenter sollen weiterhin von Kommunen und Bundesagentur für Arbeit (BA) in sogenannten Arbeitsgemeinschaften (Argen) weiterbetrieben werden. Das verbleibende Viertel ist den sogenannten Optionskommunen vorbehalten. Hier übernehmen Landkreise oder Städte die alleinige Verantwortung für die Arbeitslosen. War ihre Anzahl bislang auf bundesweit 69 begrenzt, darf es künftig bis zu 110 solcher Optionskommunen geben. Voraussetzung ist, dass die kommunalen Gremien einer solchen Umwandlung mit Zweidrittel-Mehrheit zustimmen und die Kommunen 90 Prozent des Personals der Bundesagentur übernehmen. Die Ausweitung der Optionskommunen hatte schon im Vorfeld für Proteste gesorgt, denn im Vergleich zur BA schneiden die Kommunen bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen deutlich schlechter ab. Zudem kritisieren Betroffenenverbände immer wieder die Willkür der Kommunen – sei es bei Sanktionen oder dem Missbrauch der sogenannten Ein-Euro-Jobs.
Das Horrorszenario Jobcenter rückt für rund 900 000 betroffene Beschäftigte erst einmal wieder in weite Ferne, denn das Kabinett billigte die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes. Das Sonderprogramm soll über das Jahresende 2010 hinaus bis zum März 2012 weiterlaufen. Somit werden den Arbeitgebern die Sozialabgaben für ihre Angestellten weiterhin ab dem siebten Monat voll erstattet.
Das Kabinett stimmte außerdem einem Eckpunkte-Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium zu. Demnach soll demnächst eine »Vermittlungsoffensive« starten für alleinerziehende Mütter, arbeitslose Jugendliche und ältere Arbeitssuchende. Die etwa 600 000 Alleinerziehenden im Hartz-IV-Bezug sollen zukünftig Hilfe vom Jobcenter bei der Betreuung ihrer Kinder erhalten. Dort, wo es keine Kindergartenplätze gibt, will man verstärkt Tagesmütter ausbilden. Die fehlenden Betreuungsplätze gelten als Haupthindernis beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Nach dem Willen von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wird demnächst in jedem Jobcenter eine Frauenbeauftragte bereitstehen.
Während man die Mütter umhätschelt, will man Jugendliche nun härter drannehmen. Innerhalb von sechs Wochen soll den Betroffenen zukünftig ein »Ausbildungsplatz, eine Qualifizierung, Arbeit oder eine Beschäftigungsmaßnahme« angeboten werden. Da Ausbildungs- und Arbeitsplätze aber rar sind, werden die meisten wohl in dubiosen Beschäftigungsprogrammen landen. Wem das nicht gefällt, der muss mit schmerzhaften Leistungskürzungen rechnen. Kritik an den Regierungsplänen kam am Mittwoch von der Opposition. Für Katja Kipping, die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, ist ein »verschärfter Arbeitszwang für junge Erwerbslose nicht hinnehmbar«. Die Bundesregierung wolle damit verschleiern, so Kipping, »dass sie jämmerlich gescheitert ist mit dem Versuch, jungen Menschen sozial und ökologisch sinnvolle Arbeits- und Ausbildungsplätze zu ordentlichen Bedingungen anzubieten«.
Immerhin: Nach jahrelangen Protesten von Linkspartei und Sozialverbänden lenkte das Kabinett nun ein: Kinder aus Hartz-IV-Familien dürfen demnächst mehr hinzuverdienen. Sie können von dem Geld aus Ferienjobs künftig bis zu 1200 Euro im Jahr behalten. Bislang wurde es beinahe vollständig mit dem Hartz-IV-Satz verrechnet.
Wenige Tage vor der richtungsweisenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gab es am Mittwoch weitere Streicheleinheiten für die Wähler. So brachte das Kabinett ein Nationales Stipendienprogramm auf den Weg. Unabhängig vom Einkommen der Eltern sollen bis zu zehn Prozent der leistungsstärksten Studenten ein monatliches Stipendium von 300 Euro erhalten. Weitaus weniger gibt es für die Bedürftigen. Die Ausbildungsförderung für Studenten (BAföG) soll laut Kabinettsbeschluss im Schnitt nur um 13 Euro steigen.
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