- Politik
- Kulturbeitrag
Der Nachruhm der Reichspost
Roßwein hat ein Kunsthaus, dessen Angebot sich mit großstädtischen Zentren messen kann
Im Jahr 1865 wurde von Preußen die Norddeutsche Bundespost eingerichtet, die sechs Jahre darauf zur Deutschen Reichspost erweitert wurde. Als weitere zwanzig Jahre später das neue Postgebäude im sächsischen Roßwein bezogen wurde, war das kleindeutsche Reich eine selbstbewusste prosperierende Einheit: Das Gemeinwesen schien für lange Zeit geordnet, viele privatunternehmerische Einrichtungen in zentralen staatlichen Gesellschaften aufgelöst oder eingebunden.
Tatsächlich prägen Einrichtungen wie die Post noch heute, trotz aller zurückliegenden Erschütterungen, das öffentliche Leben. Auch das alte Reichspostgebäude von Roßwein strahlt noch die Leistungskraft und den Anspruch der Post von einst aus – obwohl inzwischen längst wieder Zeitungsjungen oder Krämer das Postgeschäft mit erledigen, oft in Knebelverträgen gebunden und mit Lohnaufstockung aus den Sozialkassen versehen.
Isoliert in der Provinz
In der Roßweiner Post paradieren heute hinter der Barriere der einstigen Paketausgabe die Prunkpferde aus Tim von Vehs »Quadriga«: Vier riesige, farbig übermalte Druckgrafiken. Der aus Riesa stammende Künstler war an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Meisterschüler, lebte dann in Berlin, bis ihn die Suche nach geeigneter Wohn- und Arbeitsstätte nach Süden verschlug. Die Dresdner Künstlerinnen Franziska Kunath und Maja Nagel kamen aus ähnlichen Gründen ins Meißener und Nossener Umland.
Viele Künstler versuchen, den steigenden Lebenshaltungskosten in den Kulturzentren Leipzig, Berlin und Dresden durch Ansiedlung im Umland auszuweichen. Dann aber wird es schwierig, die bestehenden Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen. Die Städte bleiben die Bezugspunkte, die Künstler werden zu Pendlern. Es ist sehr selten, dass – wie in Roßwein – in der Provinz Zentren entstehen, die den städtischen Angeboten gewachsen sind. Die Kühnheit des Bürgermeisters Veit Lindner war in Roßwein dabei wohl ein wichtiger Faktor.
Die erste Ausstellung POSToffen im Mai 2008 war der Auslöser für unternehmungslustige Roßweiner, über eine weitere Nutzung des Gebäudes nachzudenken. Um einen Standort zu finden für die Präsentationen der ortsansässigen Künstler und Kunsthandwerker im Rahmen der Aktion »Kunst: offen in Sachsen«, beriet sich die Schmuckgestalterin Karolina Kempe mit Matthias Lange, dem stellvertretenden Bauamtsleiter der Stadt.
Durch die Umtriebigkeit und die guten Kontakte des Döbelner Fotografen Sven Abraham, der zuvor schon durch ungewöhnliche Ausstellungsprojekte im Erich Heckel Geburtshaus in seiner Heimatstadt von sich reden machte, wurde POSToffen dann zu einem Glanzpunkt des Programms der offenen Ateliers. Konsequenterweise geht dieses sorgfältig vorbereitete Unternehmen nun seinen eigenen Weg, abseits der Tage der offenen Ateliers in Sachsen, die immer unbedarfter werden.
Stadt wurde Eigentümer
Seit September 2008 steht der rote Klinkerbau der Roßweiner Post schon als Veranstaltungsraum zur Verfügung, er kann über die Stadt Roßwein auch angemietet werden. Seit Jahresbeginn befindet sich das Postgebäude im städtischen Besitz. Das ist eine gute Ausgangslage auch für die Fortsetzung dieses ambitionierten Ausstellung-Projektes.
POSToffen III, Alte Post Roßwein, Poststraße 2, geöffnet zu den Veranstaltungen und am 12. Mai 18-20 Uhr, 8., 9., 13. und 15. Mai 14-18, 16. Mai: Finissage: 9:30-18 Uhr; Kontakt: 0172/43 73 28 9; www.altepost-rosswein.de
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.