Großstadtreflexe

Das Ensemble Modern spielte im Konzerthaus Berlin Musiken von Heiner Goebbels und Steve Reich

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Ensemble Modern, »Leuchtturm« zeitgenössischer Kultur in Deutschland (Zitat Kulturstiftung des Bundes), lädt immer sehr freundlich ein und sagt, was man zu erwarten habe, zumindest im Programmheft. Sein Konzert im Großen Saal des Konzerthauses, Dirigentin: Sian Edwards, werde höchst facettenreiche Schlaglichter auf das Faszinosum »Großstadt« werfen, aber auch eindringliche Porträts seiner Schattenseiten zeigen.

Das sei geprüft. Auf dem Programm Werke von Heiner Goebbels und Steve Reich. Goebbels »Samplersuite« kam in einer Ensemble-Fassung. Das Stück stammt aus dem dreiteiligen monumentalen Projekt »Surrogate Cities« von 1994. Die Dunkelheiten und Hoffnungen, die kulturelle Verwickeltheit der Großstadt ist darin Thema. Die »Samplersuite« sei darin zentral. Sie führe bis in die Gassen und Gossen des Daseins in der Goßstadt. Streune herum in den Gewölben der Musikgeschichte.

Goebbels, Jahrgang 1952, baute formal wie die Barockmeister eine Suite aus Tanzsätzen und instrumentierte sie für die Besetzung Streicher, Blech, Holz, Percussion, dazu Harfe, zwei Flügel und Samplerspieler, dessen flinke Finger durchgängig arbeiten müssen. Die »Samplersuite« verarbeitet Stimmen, Geräusche. Schreie, Verkehrslärm, Straßenmusik, musikhistorische Spuren treten durchgängig verfremdet auf und gesellen sich dem Live-Spiel zu. Jedoch: Rekurriert der Komponist auf Geschichte, treibt er's mit romantischer Musik, mit Bachschen barocken Floskeln, verrauschten Chorälen, nostalgischer Kantabilität, Lisztscher Virtuosität, wird die Komposition schwächer. Da scheinen die Elemente austauschbar. Die Stückelei, der Effekt regieren, das herbeigezerrte Sentiment, das offenbar die Trauer um Verschüttetes versinnbildlichen soll.

Anders die zwei Stücke von Steve Reich (Jahrgang 1936), dem US-amerikanischen Begründer des Minimalismus. Reich hat früh wirklich furios angesetzt. Nach dem Ottomotorprinzip ablaufende Rhythmen und Intervalle, gewonnen aus originalen Sprechstimmen, Rufen, Gesängen, derlei ließ sich plötzlich integrieren in serielle Texturen, lockerte diese auf. Rhythmus galt wieder etwas, nachdem die Seriellen ihn an den Rand gebracht, ja zum Teufel gejagt hatten. Später wurde die ausschließliche Minimal Art zur Masche, zur Mode, zum Langweiler ersten Grades.

»Different Trains« von Reich für Streichquartett und Tonband (1988) braucht keinen Dirigenten. Alles ist prädisponiert, die Musiker, eine Quartettbesetzung aus den eigenen Reihen des Ensembles, müssen nur durchhalten. Zum Ursprungsmodell tritt alsbald eine elektronische zweite Quartettschicht hinzu, auch Geräuschbänder, als Zuspiele vom Computer. Der Mann an den Reglern (Norbert Ommer), zentrales Subjekt im Zuhörerraum, hatte immerfort zu tun. Dem Dürftigen wand er die Girlanden. Akkordrückungen helfen wenig, das Stück interessant zu machen. Gegenrhythmen fehlen gänzlich. Allenfalls gibt es kleine metrische Phasenverschiebungen, auf welche die Minimalisten so stolz sind.

Reich inszeniert in dem Stück übrigens seine jüdische Herkunft und das, was biografisch danach kam. Das geht so: Er stellt sich vor, als Kind viel mit der Eisenbahn gereist zu sein, und irgendwann fällt ihm ein, dass zur selben Zeit die Juden in Europa mit der Eisenbahn zu den Vergasungsorten gebracht wurden. Deshalb muss die Komposition ordentlich zischen, dampfen, schniefen wie in den Westernfilmen, wenn die Bande der Indianer den Zug verfolgt und ohne Deckung ihre Giftpfeile abschießt. So stellt sich der arme Reich die Erinnerung an den Holocaust vor, und genauso wie er sich das vorstellt, klingt die Musik. Sinnbilder der Großstadt sucht man vergeblich.

Ausgezehrte Strukturen, erschöpfte Abläufe am Ende auch in »City Life« für Ensemble von Steve Reich.

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