LINKE – Alltags- und Zukunftspartei
Helmut Holter: Ob wir regieren oder opponieren, das linke Profil muss deutlich sein
ND: Nach allen innerparteilichen Turbulenzen im Vorfeld ist der Parteitag der LINKEN harmonisch verlaufen. Woran lag es?
Holter: Zum einen ist da der Schwung durch tolle Wahlerfolge. Wir haben 2009 eine erfolgreiche Bundestagswahl erlebt, sind inzwischen in 13 von 16 Landtagen vertreten und machen spürbar bundesweit eine konsequente Oppositionspolitik. Auf der anderen Seite dokumentierte der Parteitag auch den festen Willen, diese neue gesamtdeutsche LINKE aufbauen zu wollen. Das stimmt mich optimistisch.
Sind jetzt alle Differenzen zwischen Ost und West oder Regierungsbefürwortern und -gegnern beigelegt?
Die Debatten werden und müssen weitergeführt werden. Wir sind ja gerade in der Programmdebatte und diskutieren damit die Frage, was linke Politik heute und in der Zukunft bedeutet. Ich sehe es als spannende Herausforderung an, für die Gegenwart ganz pragmatische Politik zu machen, um die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern – und ihnen auf der anderen Seite eine Orientierung für die Zukunft zu geben. Deshalb sehe ich die LINKE als Alltags- und Zukunftspartei. Und deshalb muss die Diskussion durch alle Landesverbände gehen, unabhängig von den Himmelsrichtungen. Ob wir regieren oder opponieren – wichtig ist, dass das linke Profil deutlich wird.
Sie haben Erfahrungen mit Regierungsbeteiligung und sind dafür in der eigenen Partei nicht nur gelobt worden. Trotzdem wollen Sie 2011 im Nordosten Ministerpräsident werden. Lust auf neuen Zoff?
Ich will Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern werden, weil ich davon überzeugt bin, dass wir in der Regierung die Verhältnisse verändern und linke Politik umsetzen können. Klar bedeutet Regieren immer auch Koalieren – und also Kompromisse mittragen. Diejenigen, die erwarten, dass linke Politik und Programmatik eins zu eins umgesetzt werden, sind möglicherweise enttäuscht. Aber überall wo sich Gestaltungsspielraum auftut, sich für mehr soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der Bildung einzusetzen oder auch Gleichstellung und Migrantenrechte zu erstreiten, sollte man sich an Regierungen beteiligen. Wir treten zu Wahlen an, wecken Erwartungen, die wir dann auch erfüllen müssen. In Mecklenburg-Vorpommern hatte die LINKE bei der Bundestagswahl mit 29 Prozent das beste Wahlergebnis in den vergangenen 20 Jahren. Die Bürger sind enttäuscht von der Großen Koalition und geben uns ihre Zustimmung im Wissen darum, dass wir schon mitregiert haben und jetzt Oppositionsarbeit leisten. Solche Erwartungen darf man nicht enttäuschen.
Wird sich die Debatte um Regierungsbeteiligung womöglich erledigen, wenn die LINKE in Nordrhein-Westfalen in Rot-Grün-Rot eingebunden würde?
Ich wünsche mir eine linke Regierungsbeteiligung für die Diskussion in der Partei, aber vor allem für die Menschen in NRW. Ich bin von der Politikfähigkeit unserer Genossen überzeugt. Sollten sie an der neuen Landesregierung beteiligt werden, müssen sie das, was sie an Wahlaussagen getroffen haben, in Koalitionsgespräche einbringen und diese Politikfähigkeit über die gesamte Legislaturperiode beibehalten. Ich weiß aus Erfahrung: Das ist richtige Kärrnerarbeit. Man muss ständig um Vertrauen werben – in der Koalition, bei den Wählern, in der Partei.
Mit 5,6 Prozent Wählerstimmen im Rücken kann man weniger ausrichten, als mit fast 30 Prozent.
Man kann auch damit etwas ausrichten. Die NRW-LINKE sehe ich überhaupt in komfortabler Lage. Die eigentliche Herausforderung steht vor ihren möglichen Koalitionspartnern, die über ihren Schatten springen müssen. Die SPD muss sich fragen, ob sie sich endlich vom Agenda-2010-Kurs emanzipiert, zu ihren sozialdemokratischen Wurzeln zurückfindet – und mit anderen Linken die linken Mehrheiten nutzen will.
Die Delegierten des Parteitags konnten sich über Mangel an Emotionen nicht beklagen. Wie haben Sie sich beim nicht ganz freiwilligen Abschied des Bundesgeschäftsführers gefühlt?
Ich bin Dietmar Bartsch wirklich dankbar. Wir haben fast 20 Jahre eng, freundschaftlich und kritisch zusammengearbeitet. Ich fand seine Verabschiedung durch den Parteitag beeindruckend. Aber ein Wermutstropfen ist geblieben.
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