Neuwahl oder Koalition der Verlierer

Mittlerweile sind alle Koalitions-Optionen in NRW vom Tisch – mit einer, allerdings großen Ausnahme

  • Marcus Meier, Düsseldorf
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Scheitern des rot-grün-roten Sondierungsgesprächs übt die LINKE heftige Kritik: »Alibiveranstaltung«, »absurdes Theater«, »SPD und Grüne wollten den Eklat«. Nun bleibt als letzte Option lediglich die Große Koalition. Doch wer lud wen zum Sondierungsgespräch: die SPD die CDU – oder umgekehrt?

Nach dem vorgestrigen Scheitern des rot-grün-roten Sondierungsgesprächs üben sich die Verhandlungspartner in gegenseitiger Kritik. »Das Gespräch war lediglich eine Alibiveranstaltung, die als absurdes Theater inszeniert wurde«, sagt Rüdiger Sagel, Vorstand der LINKE-Landtagsfraktion. Ein Drittel der SPD-Basis wolle Rot-Grün-Rot. »Diesem Drittel sollte gezeigt werden, dass eine solche Koalition völlig unmöglich ist, auf dass der Weg zur Großen Koalition frei werde.«

SPD und Grüne, die als Block mit der LINKEN verhandelten, weisen derweil ihrem Gesprächspartner den Schwarzen Peter zu: In dem Gespräch habe sich ihre Einschätzung bestätigt, dass die LINKE in NRW »derzeit nicht regierungs- und koalitionsfähig ist«, sagte Hannelore Kraft, die Partei- und Fraktionsvorsitzende der NRW-SPD. »Die Linke verhindert einen Politikwechsel in NRW«, ist ein Brief der Grünen-Spitze an die Partei-Basis überschrieben. Fünfeinhalb Stunden hatten SPD, Grüne und die LINKE am Donnerstag sondiert, ob Koalitionsverhandlungen Sinn ergeben könnten. Dabei prüfte der rot-grüne Block nach eigenen Aussagen zunächst die »Demokratiefestigkeit« der Linkspartei. Hannelore Kraft sagte anschließend, sie sei stellenweise einfach nur entsetzt gewesen über die Positionen der LINKEN. Sie warf den Sozialisten eine auf die DDR bezogene »Geschichtsklitterung« vor – und eine »erschreckende Unkenntnis« in Fragen der Haushaltskonsolidierung. »Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende«, kommentierte die Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann das Gespräch.

SPD und Grüne hätten »angebliche Missverständnisse und Unklarheiten inszeniert«, sagt hingegen Rüdiger Sagel von der LINKEN. Über zwei Stunden habe man Grundsatzdebatten über DDR-Vergangenheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geführt. »Dabei wurden wir immer wieder mit unglaublichen Unterstellungen konfrontiert«, so Sagel.

»Der Graben ist zu tief«

Die LINKE-Sondierungskommission habe erklärt, dass die DDR eine Diktatur gewesen sei – und Fotokopien entsprechender Passagen aus landes- wie bundespolitischen Programmpapieren verteilt. »Sie konnten es hören, sie konnten es nachlesen, sie konnten es schon vorher wissen«, wettert Sagel. Es stelle sich zudem die Frage, warum das Verhältnis der LINKEN zur DDR überhaupt Thema sein musste, »wenn es doch angeblich um einen Politikwechsel für NRW ging«. Sagels Fazit: »SPD und Grüne wollten den Eklat. Eigentlich hätten wir LINKEN, bei aller Geduld, nach einer halben Stunde gehen sollen. Da war schon klar: Der Graben ist zu tief.«

Die FDP hatte zuvor ein Sondierungsgespräch mit SPD und Grünen abgesagt, was eine Koalition dieser drei Parteien unmöglich macht. Andere Regierungsmodelle sind entweder rechnerisch ausgeschlossen oder werden von den potenziell Beteiligten abgelehnt, so auch eine »Jamaika«-Koalition aus CDU, FDP und Grünen. Nun lautet die Alternative: Neuwahlen oder Große Koalition der großen Verlierer. Die SPD hatte bei der Landtagswahl Anfang Mai ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1954 eingefahren, die CDU über zehn Prozent ihrer Wähler eingebüßt. In Sondierungsgespräche mit der CDU ginge die Kraft-SPD ohne strategische Alternative, was ihre Verhandlungsposition nochmals schwächt. Die CDU ist zudem die stärkere Partei, liegt um 0,1 Prozent vor der SPD. Dennoch pochte Kraft bisher darauf, auch in einer Großen Koalition Ministerpräsidentin zu werden. Ähnlich agierte ihr Genosse Christoph Matschie nach der Thüringer Landtagswahl 2009, wenn auch gegenüber der LINKEN, die dort der stärkere Verhandlungspartner der SPD war. Wie Matschie ist jetzt Kraft auf eine Große Koalition angewiesen, weil Verhandlungen mit der Linkspartei scheiterten. Ausgerechnet von der CDU einen »Politikwechsel« (Kraft) nach sozialdemokratischer Manier zu fordern – auf diesen Gedanken wäre aber selbst Matschie nicht gekommen. Immerhin betonte Kraft, sie hege »große Zweifel«, dass die CDU »bereit ist, einen Politikwechsel mitzutragen«, also beispielsweise die Studiengebühren zusammen mit der SPD abzuschaffen.

Gastgeber und Gast

Auf Krafts »Einladung« zu schwarz-roten Sondierungsgesprächen reagierte der CDU-Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers süffisant-ironisch: »Ich begrüße, dass die SPD mein Angebot aus der letzten Woche zu Gesprächen aufgreifen will«, so der derzeit kommissarisch amtierende Ministerpräsident. An ein solches »Angebot« mochte sich seine potenzielle Koalitionärin Kraft nicht erinnern. Zunächst werden CDU und SPD sich also einigen müssen, wer wen einlud, wer also als Gast agieren muss und wer die Rechte eines Gastgebers genießen darf. Ob auch Rüttgers' »Demokratiefestigkeit« Thema der Gespräche sein wird, ist offen. Angemessen wäre es: Seit der »Sponsoring-Affäre« steht der Christdemokrat unter dem Verdacht der Käuflichkeit.

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