Wie weiter in Nordrhein-Westfalen?
NRW-LINKE diskutierte die gescheiterten Sondierungsgespräche / Koalitionspoker geht in neue Runde
Eigentlich war der Sonderparteitag in Bottrop anberaumt worden, um zu entscheiden, ob die LINKE in Verhandlungen über eine rot-grün-rote Landesregierung für Nordrhein-Westfalen einsteigen solle. Da jedoch bereits das erste Sondierungsgespräch mit SPD und Grünen am Donnerstag scheiterte, war auf dem Parteitag vor allem dreierlei angesagt: Wundenlecken, Neupositionierung und ein wenig Kraftmeierei.
Fraktions- und Noch-Parteichef Wolfgang Zimmermann verteidigte die Aufnahme von Sondierungsgesprächen: »Im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung« habe die LINKE »skeptisch, aber ernsthaft« über eine Regierungsbeteiligung verhandelt. Das Ziel: »wenigstens ein kleiner Politikwechsel«. Doch schnell habe man festgestellt, dass SPD und Grüne nicht ernsthaft verhandeln, geschweige denn ihre links erscheinenden Wahlprogramme umsetzen wollten. »Das ist Wahlbetrug!«, rief Zimmermann unter dem tosenden Applaus des Parteitages. Zweieinhalb Stunden lang habe die LINKE-Sondierungskommission zu DDR-Vergangenheit sowie zur Rechtsstaatlichkeit Stellung bezogen. Dabei habe man klar dargelegt, dass die DDR eine Diktatur gewesen sei. »Wir haben uns nicht allgemein von Diktaturen distanziert«, so Zimmermann, »das ist eine Lüge«. Immerhin einen eigenen Fehler räumte der Sechzigjährige ein: »Wir hätten nach einer Stunde sagen sollen: Ihr tickt doch nicht ganz sauber!«
Zimmermann schwor seine Partei auf die Rolle als »konsequente und kompromisslose« Opposition ein. Nach längerer Debatte nebst einiger Änderungen, aber mit großer Mehrheit beschloss der Parteitag eine Erklärung: »Wir wollen einen Politikwechsel für mehr Demokratie, freie Bildung und soziale Gerechtigkeit«, heißt es darin. Auch nach den »Scheinverhandlungen« sei man zu Gesprächen mit SPD und Grünen bereit, »aber wir biedern uns nicht an«.
Immer wieder warfen Redner SPD und Grünen »Verrat« und »Wahlbetrug« vor. Die Kritik am gescheiterten Sondierungsgespräch fiel indes mild aus. Unter mäßigem Beifall forderte der Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer, die LINKE müsse mit Hilfe der Gewerkschaften Druck entfalten, damit SPD und Grüne »zurück an den Verhandlungstisch« kehren. Schäfer warnte vor Neuwahlen: Die Wähler hätten einen Politikwechsel erwartet, »und mancher denkt: die LINKE hat das nicht geschafft, die wähle ich nicht mehr«.
Zwei Vertreter der Kommunistischen Plattform kritisierten, dass die LINKE überhaupt mit SPD und Grünen »paktieren« wollte – und dabei die DDR als »Diktatur« bezeichnete. Knapp ein halbes Dutzend Delegierte applaudierte.
Derweil ist auch weiterhin völlig unklar, wie in Nordrhein-Westfalen eine handlungsfähige Regierung gebildet werden kann. Wird die FDP jetzt doch noch mit dem rot-grünen Block verhandeln? Entsprechende SPD-Avancen sind erkennbar. Zweite Option wäre eine Große Koalition. Doch CDU und SPD streiten bereits jetzt darüber, wer dann den Regierungschef stellen darf. Vor dem ersten Sondierungsgespräch zwischen beiden Parteien hat die SPD-Chefin Hannelore Kraft jegliche Festlegung vermieden. Es sei »völlig offen«, ob sich die beiden Seiten auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung verständigen würden, sagte Kraft der »Bild am Sonntag«. Das mit Spannung erwartete Gespräch soll vermutlich am Donnerstag stattfinden.
Schließlich gibt es vereinzelte Spekulationen über eine rot-grüne Minderheitsregierung (siehe Kasten). Ab dem zweiten Wahlgang könnte Kraft auch mit einfacher Mehrheit zur Ministerpräsidentin gewählt werden. Lediglich eine Abgeordneten-Stimme fehlt ihr zur absoluten Landtags-Mehrheit. Kraft selbst schließt auch Neuwahlen nicht aus. Der Bundesvorsitzende der LINKEN, Klaus Ernst, warf Kraft vor, auf diese Neuwahlen zu spekulieren. Alles spreche dafür, dass sie die Sondierungsgespräche mit allen Parteien gezielt an die Wand fahre, so Ernst. Kraft müsse schnell eine klare Aussage treffen, ob sie Neuwahlen in NRW anstrebe.
Eines immerhin ist sicher: CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bleibt bis auf Weiteres im Amt. Und so titelte die links-alternative »Tageszeitung« am Samstag: »DDR rettet Rüttgers«.
Rot-grüne Minderheitsoption
SPD-Chefin Hannelore Kraft könnte sich mit den Stimmen von Rot-Grün wählen lassen, obwohl sie dann lediglich 90 der 181 Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag hinter sich wüsste. Abstimmungstechnisch völlig irrelevant wäre, ob die CDU überhaupt einen Gegenkandidaten aufstellt oder ob die 80 Abgeordneten der CDU und FDP schlicht mit »Nein« stimmen, um die Legitimität der Abstimmung auch dergestalt in Frage zu stellen. Wahrscheinlich ist, dass die elf Vertreter der Linkspartei sich der Stimme enthalten würden. Die Sozialisten hatten mehrfach angekündigt, eine Rüttgers-Abwahl werde an der LINKEN nicht scheitern. Dann hieße es: 90 Stimmen für, 80 Stimmen gegen Kraft, nebst elf Enthaltungen, die nicht in die Wertung einfließen.
Eine Ministerpräsidenten-Kür ohne absolute Mehrheit – diese Möglichkeit existiert in NRW, aber beispielsweise nicht in Hessen. In diesem Bundesland muss sich der Regierungschef auf die Stimmen von »mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder« stützen. Er (oder sie) benötigt also die Ja-Stimmen von mehr als der Hälfte aller gewählten Landtagsabgeordneten. So legt es Artikel 101 der Landesverfassung fest. Deswegen konnte Roland Koch auch kommissarisch Ministerpräsident bleiben und Monate lang gegen eine informelle rot-grün-rote Mehrheit an regieren.
Weil aber vier SPD-Abweichler der eigenen Kandidatin die Gefolgschaft verweigerten, wurde Andrea Ypsilanti nicht zur Landeschefin erkoren. Schließlich kam es zu Neuwahlen, die Schwarz-Gelb klar für sich entscheiden konnte.
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