Die Suche nach der Lücke

Der linke Vordenker Herbert Marcuse arbeitete jahrelang für US-Geheimdienste und Regierung

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Über den Einfluss der USA und ihrer Geheimdienste auf die westdeutsche Nachkriegspolitik decken Historiker allzu gern den Mantel des Schweigens. Eine Diskussionsrunde im Bundestag machte am Mittwoch klar, dass sich auch führende linke Intellektuelle, wie Herbert Marcuse, von den Amerikanern im Kalten Krieg instrumentalisieren ließen.

Er gilt als eine der Ikonen der 68er-Bewegung: Herbert Marcuse, linker Philosoph und Soziologe. Während viele den gebürtigen Berliner als unbequemen Denker kennen, wissen hingegen nur wenige, dass Marcuse jahrelang auch für die US-Regierung arbeitete. Der Historiker Tim B. Müller beleuchtete am Mittwoch das zwiespältige Verhältnis des marxistischen Intellektuellen zur Staatsmacht. Im Kunst-Raum des Marie-Elisabeth Lüders-Hauses, einem Anbau des Bundestages, referierte Müller über die »Geburt der Gegenkultur aus dem Geist des Geheimdienstes«. Müller war der Einladung des Künstlers Lutz Dammbeck gefolgt, der momentan im Kunst-Raum seine Ausstellung »Atlasmacher« präsentiert. Darin fragt Dammbeck nach der Bedeutung von »Wissenschaften und Technologien für die Neuformierung von Gesellschaft, konkret im Rahmen der sogenannten Re-Education im Westen Deutschlands«.

Einer der Protagonisten dieser Re-Education oder Umerziehung ist Herbert Marcuse. Der 1933 aus Deutschland emigrierte Philosoph und Marx-Kenner heuerte mitten im Zweiten Weltkrieg beim Office of Strategic Services (OSS) an, der Vorläuferorganisation des US-Geheimdienstes CIA. So wie er ließen sich viele linke Intellektuelle für Geheimdiensttätigkeiten gegen Nazi-Deutschland einspannen, wie Müller in seinem Vortrag betonte. Der jüdische Emigrant Marcuse genoss bald das Vertrauen der Amerikaner. So dienten seine Arbeiten auch der Vorbereitung der Nürnberger Prozesse. Doch bereits kurz nach Kriegsende sahen sich die USA von einem neuen Feind bedroht – dem Sowjet-Kommunismus. Marcuse wurde der führende »Kommunismusforscher« im US-Außenministerium. Es ging vornehmlich darum, den Gegner zu verstehen, wie Tim Müller unterstrich. »Es war die Suche nach der Lücke, in die die psychologische Kriegführung stoßen konnte«, so Müller. Die Re-Education, die eigentlich zur Entnazifizierung gestartete Kampagne, verkommt im Kalten Krieg zur antikommunistischen Offensive. Mit ihrer Hilfe soll die Bevölkerung Westeuropas gegen den Kommunismus immunisiert werden.

Marcuse, selbst Marxist, hilft den US-Amerikanern, die Sowjet-Marxisten zu bekämpfen. Wobei Marcuse wohl hoffte, seine Arbeiten könnten die Entspannung zwischen beiden Blöcken vorantreiben, wie Müller vermutete. Eine trügerische Hoffnung, denn er konnte nicht kontrollieren, wozu die Amerikaner seine Erkenntnisse nutzten. Offenbar wurde Marcuse so auch unfreiwillig zum Putschhelfer: Die US-Regierung missbrauchte seine Ausarbeitungen, um 1954 die progressive Arbenz-Regierung in Guatemala zu stürzen.

Doch eigentlicher Schwerpunkt seiner Tätigkeit war Europa und hier vor allem Deutschland. Den Kampf um die Herzen und Köpfe der Westdeutschen ließ sich die US-Regierung eine Menge Geld kosten. So finanzierte sie Parteien, Gewerkschaften und Zeitungen. Marcuse empfahl seinen Brötchengebern die Unterstützung der Sozialdemokraten. Viel mehr ist über sein diskretes Wirken zu jener Zeit nicht bekannt. Ab 1954 lehrte Marcuse an der Brandeis Universität im US-Bundesstaat Massachusetts. Er blieb aber bis Anfang der 60er Regierungsberater.

Währenddessen entwickelte sich die Re-Education zum großen Erfolg. Vor allem die deutsche Jugend begeisterte sich für die Konsum- und Pop-Kultur der USA. Ironie der Geschichte: Eben diese amerikanisierte Jugend rebellierte in den 60ern nicht nur gegen die verdrängte Nazi-Vergangenheit der Eltern, sondern auch gegen den US-Krieg in Vietnam. Zu jener Zeit – zwischen 1967 und 1969 – bereiste Marcuse Westeuropa. Seine Vorträge sollten die 68er-Rebellion nachhaltig beeinflussen. So wurde er auch Intimus von Studentenführer Rudi Dutschke. Ob Marcuse in Abstimmung mit amerikanischen Stellen handelte, ist unklar. Tim Müller zufolge, blieb Marcuse zeitlebens verhaftet in den einflussreichen US-Netzwerken. Hier waren die Übergänge zwischen Politik, Wissenschaft und Geheimdienst fließend. Der strikt anti-sowjetische Intellektuelle Herbert Marcuse war Teil dieses Netzwerkes.

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