Mit der Volkstümlichkeit eines Politkommissars
Horst Köhler war gern unbequem – bis es ihm selbst zu viel wurde
Wenige Momente entscheiden zuweilen über ein Schicksal. Das gilt erst recht in der Politik. Horst Köhler hätte auf direktem Wege nach Deutschland fliegen sollen, als er sich am letzten Freitag nach seinem Besuch der Expo 2010 in Shanghai auf den Heimweg machte. Dann wäre in den nächsten Tagen sein Abflug nach Burkina Faso erfolgt, anschließend war geplant, dass der Bundespräsident die Fußball-Weltmeisterschaft mit seiner Anwesenheit beehrt. So aber hatte Köhler überraschend einen Halt bei der deutschen Truppe in Afghanistan eingelegt und auf dem Heimweg dann ein verhängnisvolles Interview gegeben. Am Montag ist er zurückgetreten.
Horst Köhler hat auf dem Weg von Afghanistan nach Deutschland Sätze in ein Mikrofon gesagt, die er wahrscheinlich nie wieder los wird. Sätze, die einem Bundespräsidenten nicht gut zu Gesicht stehen. Selbst wenn er damit die Wahrheit gesagt hat. Nach einem überraschenden Truppenbesuch in Masar i-Sharif, einem der Stützpunkte, wo sich die Bundeswehr immer tiefer eingräbt, um angeblich die Sicherheit Deutschlands zu verteidigen, hatte er als Grund für die Auslandseinsätze der Bundeswehr die deutschen Wirtschaftsinteressen ins Spiel gebracht. »Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.«
Köhlers Einschätzung trog ihn. So breit ist das Eingeständnis in Deutschland noch nicht, dass es zuerst eigennützige Interessen sind, die den Einsatz der Bundeswehr im Ausland begründen. Kein Dementi half. Hilflos wirkte die nachgereichte Korrektur, Köhler habe nicht den Einsatz in Afghanistan gemeint. Hilflos die Erklärung, Die Opposition hielt dem Präsidenten grundgesetzwidrige Gedanken vor, Mitglieder der Regierungskoalition warfen ihm immerhin eine fragwürdige Wortwahl vor, die Kanzlerin schwieg betreten. In den Medien war zu lesen, Köhler beherrsche das einzige Machtmittel nicht, über das er verfüge: die Sprache.
Persönlich beleidigt wirkte Köhler am Montag, als er Hand in Hand mit seiner Gattin vor die Presse im Schloss Bellevue schritt. Das Amt sei respektlos behandelt worden, sagte er zur Begründung seines Rücktritts. Das Amt also, nicht er. Ihm sei unterstellt worden, so Köhler weiter, dass er Einsätze der Bundeswehr befürworte, die vom Grundgesetz nicht gedeckt seien. Ein Vorwurf doch an ihn. Nach sechs Jahren Präsidentschaft fällt es ihm offenbar schwer, zu unterscheiden zwischen Amt und Amtsinhaber.
L'etat c'est moi – Der Staat bin ich. Oft war beschrieben worden, wie Köhler versuchte, ein Präsident für die »Leute« zu sein. Mit einfachen Sätzen hatte er sich Teile der Politik zum Feind gemacht, wenigstens zum Kritiker. Ihnen hatte er Reformunfähigkeit vorgeworfen und Handlungsunfähigkeit, so dass zuletzt vor allem Unfähigkeit nachklang. Das gefällt dem kleinen Mann.
Er hat seine Unterschrift unter mehrere Gesetze verweigert, das Verbraucherinformationsgesetz, den EU-Vertrag, das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung, das Gesetz über Internet-Sperren. Die Sympathien für den Präsidenten wechselten mit dem Thema. Als er einst, 2005, den Bundestag auflöste – auf Wunsch des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, aber nicht, um diesem einen Gefallen zu tun –, demonstrierte er sein eigenes Amtsverständnis. Deutschland brauche dringend eine neue Regierung, eine, die den Aufgaben der Zeit gewachsen sei, lautete die unverhohlene parteipolitische Botschaft Köhlers. Der Beifall von liberaler und konservativer Seite verhinderte, dass sich bereits damals das Urteil festsetzte, dem jetzt selbst in der CDU, seiner eigenen Partei, nicht jeder widersprechen dürfte. Dass Köhler ein Präsident ist, der auf Reglementierungen seines Amtes pfeift, der die Form nicht wahrt. Unbequem wolle er sein, hatte er bereits bei seinem Amtsantritt angekündigt. Das ist ihm gelungen. So dass Meldungen über Köhlers Auslandsbesuche zuweilen wie Auszeiten zur Erholung beider Seiten wirkten.
Ja, Afrika – dieser Kontinent ist ihm schon eher gelungen. Seine besten Schlagzeilen hat er sich dort verdient. Zuletzt hat er am Freitag eine Kampagne von 24 Hilfsorganisationen gestartet. Und dabei einen seiner einfachen, klaren und deshalb schönen Sätze gesagt: Die Kampagne »Gemeinsam für Afrika« zeige, »was man auch aus der Ferne tun kann«.
Man kann auch viel Mist bauen in der Ferne. Es hatte schon vor dem Interview begonnen. Erst hatte Köhler die Regierung in Kabul verärgert, weil er sie bei seiner kurzfristigen Entscheidung für einen Besuch der deutschen Soldaten ignoriert und Kabul links liegenlassen hatte. Dann schlug sein Versuch gründlich fehl, die Kampfmoral der deutschen Soldaten zu heben. Bei einem seiner volkstümlichen Dialoge hatte er die Umstehenden brüskiert, als er sich nach ihrer Zuversicht erkundigte. Auf ihr Schweigen soll er sich an einen daneben stehenden US-Presseoffizier gewandt haben, der darauf prompt seinen Siegeswillen bekundete. »Warum höre ich das nicht von Ihnen?«, habe Köhler darauf die deutschen Soldaten gefragt. Köhlers Volkstümlichkeit ähnelte zuweilen der eines Politkommissars. Überproportional sei die Zahl der aus dem Präsidialamt geschiedenen Mitarbeiter, heißt es.
Als Angela Merkel und Guido Westerwelle im Jahr 2004 den Banker und Direktor des Internationalen Währungsfonds zum gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten kürten, wollten sie damit eine schwarz-gelbe Koalition vorwegnehmen. Einen »wichtigen Ratgeber« nannte Merkel ihn am Montag nach dem Rücktritt, der ihr nun verlorengehe – damit ihr Schweigen zu den Vorgängen in den letzten Tagen beendend. Dass sein Rat ihr auch später teuer sein könnte, sagte sie nicht.
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