»Wir sind tief enttäuscht«
Reiner Braun zur Konferenz über den Atomwaffensperrvertrag
ND: Bundesaußenminister Westerwelle nannte die Konferenz einen »historischen Erfolg«. Wo sehen Sie ihr wichtigstes Ergebnis?
Braun: Das Wort »historisch« ist eine Lüge, das Wort »Erfolg« muss man mit vielen Fragezeichen versehen. Als Erfolg gilt wohl schon, dass die Konferenz nicht gescheitert ist. Letztlich hat sie die Welt der atomaren Abrüstung nicht näher gebracht. Was dort festgeschrieben wurde, steht schon seit 40 Jahren im NPT-Vertrag. Die Atomwaffenstaaten setzen ihren – so die Einschätzung des Internationalen Gerichtshofes – Völkerrechtsbruch fort. Wir können nur tief enttäuscht sein von den Ergebnissen.
Nun gibt es die dringliche Aufforderung an die Atommächte zur nuklearen Abrüstung, erstmals ist dabei von einem Zeitplan die Rede.
Das Abschlussdokument selbst enthält keinen Zeitplan. Er soll weiteren Verhandlungen unterliegen. Schon im NPT-Vertrag steht, dass umgehend Verhandlungen mit dem Ziel vollständiger atomarer Abrüstung beginnen sollen. Er wurde vor 40 Jahren ratifiziert. Seitdem ist nichts geschehen. Wenn nicht verbindliche, überprüfbare Zeitpläne verabschiedet werden, ist das ein Freibrief, so weitermachen zu können wie bisher. Und man kann die Konferenz nur so interpretieren, dass die Atomwaffenstaaten wie gehabt weitermachen wollen. Das ist ja auch im gerade verkündeten Entwurf für eine neue NATO-Strategie so angelegt.
Was ist die Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten wert, wenn USA-Präsident Obama zugleich zugesagt haben soll, dass die israelischen Arsenale davon unberührt blieben?
Erst einmal muss man sagen, es ist ein großer Verhandlungserfolg Ägyptens, dass das Projekt nach 15 Jahren – denn es findet sich schon in der Erklärung von 1995 – wieder auf die internationale Agenda gesetzt worden ist. Gegen den erheblichen Widerstand der USA. Nun werden die USA alles versuchen, dieses Zugeständnis, das sie den arabischen Staaten machen müssen, damit das NPT-Regime nicht auf Dauer scheitert, zu verwässern. Auch die Zusicherung Obamas an Premier Netanjahu ist Beweis dafür. Auch hier gilt, dass die Praxis zeigen wird, ob die Erklärung mehr wert ist als das Papier, auf dem sie steht.
Nach dieser Konferenz muss man wohl davon ausgehen, dass in Deutschland weiter US-amerikanische Atomwaffen stationiert bleiben.
Die sogenannten substrategischen Waffen tauchen im Abschlussdokument nicht auf. Wie Herr Westerwelle das als einen »historischen Erfolg« verkaufen will, muss er der Öffentlichkeit erst noch erklären. Seine Politik hat vollständig versagt. Die deutsche Diplomatie hat kaum eine Rolle bei diesen Verhandlungen gespielt, und es ist nicht gelungen, die Ansatzpunkte aus dem Bundestagsbeschluss auch nur ansatzweise in das Schlussdokument der Überprüfungskonferenz zu bringen. Deshalb wird es einen Abzug der Atomwaffen aus Deutschland nur geben, wenn der Protest und der Widerstand gegen sie massiv ausgeweitet wird.
Inwieweit könnte eine auch von der Friedensbewegung so vehement geforderte Atomwaffenkonvention den Prozess der nuklearen Abrüstung beschleunigen?
Die Nuklearwaffenkonvention ist der Lackmustest dafür, ob man es ernst meint mit der atomaren Abrüstung. Ein Verhandlungsbeginn steht deshalb nach wie vor auf der Tagesordnung. Vor 15 Jahren waren wir als Friedensbewegung die einzigen, die eine solche Konvention verlangt haben. Als Spinner wurden wir beschimpft. Heute wird sie von einer Mehrheit der Staaten gefordert. Doch die Atomwaffenmächte – mit Ausnahme Chinas, das für eine Konvention ist – konnten sie noch ein Mal aus der Verbindlichkeit des Schlussdokuments heraushalten. Erwähnt ist sie ja, im Bezug auf den UN-Generalsekretär. Wir werden den Verhandlungsbeginn weiter einfordern.
Ist damit auch der Schwerpunkt für die Aktivitäten der Friedensbewegung in der nächsten Zeit genannt?
Aus meiner Sicht gibt es zwei große Aufgaben für die deutsche Friedensbewegung. Zum Ersten: Atomwaffen müssen aus Deutschland verschwinden, ohne Bedingungen. Das ist eine Aufforderung an Außenminister Westerwelle, jetzt umgehend mit USA den Abzug zu vereinbaren. Und das Zweite ist, die Nuklearwaffenkonvention schnell auf den Verhandlungstisch zu bringen und sie dann auch in die Praxis umzusetzen.
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