• Kultur
  • 8. ND-Lesergeschichten-Wettbewerb

Blind Date

Brigitte Hähnel aus Berlin

  • Lesedauer: 4 Min.
Brigitte Hähnel
Brigitte Hähnel

Was sollte sie, die doch bald ins Gras beißen würde, jetzt noch mit einer Unterhose auf zwei Beinen? Seit Tagen fragte sich das kopfschüttelnd die alte Stark. Sie fragte auch die Pflegerinnen in der »Abendsonne«, die aber nur mit einem Kichern antworteten.

Neunundvierzig Jahre war die Stark verheiratet gewesen. Wie viele Hemden hatte sie in den Jahren gebügelt? Wie viele Socken gestopft? Es reichte. Und jetzt wollten ihr die Kinder wieder eine »Unterhose« aufdrücken! Bei dem Gedanken schüttelte es die Stark. So eine Partnerschaftsanzeige war sicherlich nicht billig. Aber als Geburtstagsgeschenk zum Fünfundachtzigsten?

Sie kamen mit biblischen Gleichnissen. Zum Beispiel mit der Arche Noah. Da seien doch auch alle paarweise reingegangen. »Ja, um sich zu vermehren«, hatte die alte Stark geantwortet. Natürlich haben sie ihr gleich wieder Unsachlichkeit vorgeworfen. Hier gehe es um menschliches Miteinander, um eine starke Schulter, an die sie sich anlehnen könne und so weiter.

Starke Schulter? Die Stark hatte mitleidig auf ihre spacken Söhne gesehen, die beide unter dem Pantoffel ihrer Ehefrauen standen, aber schließlich eingewilligt, sich den Kandidaten vorstellen zu lassen. Lag es an den sprossenden Birken oder den wie verrückt flötenden Amseln? Wie auch immer, die Stark hatte nachgegeben, um ihre Ruhe zu haben.

In der Nacht zuvor konnte sie kein Auge zutun. Nur einer hatte sich auf die Anzeige gemeldet, allerdings mit einer zugegeben jugendlich, energischen Schrift. Ein Einziger! Die Stark kam nicht darüber hinweg. Eine Unverschämtheit bei einer Frau, wie sie es war. Natürlich fehlte die Straffheit des Fleisches, aber sie hatte noch Mumm in ihren Knochen. Und heute nun sollte sich der Kandidat vorstellen. Die Stark hatte ihm am Telefon klipp und klar ihre Bedingungen gestellt: Keinerlei Anzüglichkeiten bitte. Nur aus gesundheitlichen Gründen sei sie gezwungen, ihn in ihren vier Wänden zu empfangen.

Seit Tagen plagte sie ein fürchterlicher Husten. Die Pflegerinnen wollten ihr unbedingt einen Arzt vorbeischicken, aber sie hatte sich das verbeten. Ständig diese fremden Männer! Ehe sie sich an einen Weißkittel gewöhnt hatte, kam schon der nächste.

Aber jetzt hieß es, sich für den Besuch fertig machen. Genügte früher ein Spritzer Kölnisch Wasser, so musste sie heute schwerere Geschütze auffahren.

Wo zum Teufel war Waffe Nr. 1? Sie hatte sie doch vor dem Mittagsschlaf von der Nase genommen und auf ihren Nachtschrank gelegt. So sehr ihre Finger auch suchten, sie fanden nichts. Sie tastete sich in Richtung Fensterlicht vor, stieß dabei mit dem Knie an etwas Hartes (das Tischbein?) und spürte, wie zusammen mit dem Schmerz heiße Wut in ihr aufstieg. Auf dem Tisch herrschte Nebel. Dichter, undurchdringlicher Nebel.

Es hatte keinen Zweck, sie würde die »Unterhose«, die ja jeden Moment kommen würde, bitten müssen, Waffe Nr.1 zu suchen. Und wo zum Teufel trieben sich die Hörstöpsel, Waffe Nr. 2, wieder herum? Sollte sie mal wieder die Nachttischplatte verfehlt haben und die Dinger auf dem Fußboden gelandet sein?

Aber da war die »Unterhose« ja schon. Natürlich hatte sie nicht angeklopft. Schlechte Kinderstube! Und wieso sprach sie nicht? Und kam ihr immer näher. Nahm ihre Hand. Hielt sie lange. Jetzt ging sie ihr sogar an die Wäsche. Nie würde sie vor einem hergelaufenen Fremden ihre Bluse ausziehen. Niemals! Weg da! Schließlich hatte sie ihre zwei noch immer kräftigen Hände. Mit denen schob sie den aufdringlichen Kerl weg, der sich natürlich zappelnd wehrte und sofort zum Gegenangriff überging. Um dann entschlossen erneut in die Offensive zu gehen und zuzudrücken – nicht mal einen Schlips umzubinden hatte der Kerl fertig gebracht – kostete die Stark nicht viel.

Das Seniorenheim ließ es sich nicht nehmen, eine Traueranzeige in der »Morgenpost« zu schalten. Sie war doppelt so groß wie die der kassenärztlichen Vereinigung. Seitdem gab es auch eine Verfügung, in der ausdrücklich betont wurde, dass den Ärzten das Betreten der Patientenzimmer nur noch im Beisein des Pflegepersonals gestattet war.

Für die alte Stark änderte sich nicht viel. Einmal in der Woche allerdings schlurfte ein uraltes Männchen auf dem Kiesweg vorbei und nickte ihr zärtlich durch das vergitterte Fenster zu. Die Stark winkte dann immer erfreut mit dem soeben erhaltenen Brief zurück. Und jedes Mal wunderte sie sich erstaunt aufs Neue, wie dieses gebrechliche Wesen es fertigbrachte, so viel Kraft in seine Handschrift zu legen.

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