Sprache als Ausdruck des Denkens
Ex-Bundespräsident »übersetzte« deutsche Sicherheitspolitik und musste abtauchen
Als der damalige Bundespräsident Köhler vor zwei Jahren mit U33 in die Ostsee abtauchte, sagte er: »Ich weiß aber nicht, ob ich viele Tage diesen Belastungen auf engstem Raum gewachsen wäre.« Erwischt hat es Köhler nun nicht unter der Meeresoberfläche sondern am Himmel – irgendwo zwischen Afghanistan und Europa. Um nicht zu viel hohles Zeug über Respekt vor dem Einsatz deutscher Soldaten »für unsere Sicherheit ...« in das Mikrofon eines Radioreporters zu plappern, versuchte er sich als »Übersetzer« deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Zitat:
»Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.«
Der Bundespräsidenten ist auf das Grundgesetz vereidigt. Darin gibt es die Artikel 26, 87 und 115. Die regeln, dass man das friedliche Zusammenleben der Völker nicht stören und deshalb auch keinen Angriffskrieg vorbereiten, geschweige führen darf und dass Deutschland ausschließlich zur Verteidigung der eigenen Republik Streitkräfte unterhält. Doch Köhler, der ob seines Amtes und des Artikels 59 den Bund völkerrechtlich vertritt, erklärte da frank und frei, dass wirtschaftliche Interessen durchaus Gründe bieten, um Soldaten auszuschicken.
Obwohl die Regierung spätestens seit dem NATO-gemeinsamen Überfall auf Jugoslawien immer wieder die »Notwendigkeit einer Erweiterung des verfassungsrechtlichen Rahmens für den Einsatz der Streitkräfte« betont – so direkt hat noch kein Staatsoffizieller bestätigt, was damit gemeint ist. Auch im geltenden »Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr« von 2006 kann man nur zwischen den Zeilen lesen, was Köhler ausgesprochen hat. Da wird von einem »umfassenden Sicherheitsbegriff« gesprochen, für den »ein umfassender Ansatz« erforderlich ist. »Die Bundeswehr ist«, so das Weißbuch, »Instrument einer umfassend angelegten, vorausschauenden Sicherheits- und Verteidigungspolitik.«
Zwei Seiten später erwartet den Leser eine neue Stufe verhüllten Erklärens: »Staatliches Handeln bei der Sicherheitsvorsorge wird künftig eine noch engere Integration politischer, militärischer, entwicklungspolitischer, wirtschaftlicher, humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung voraussetzen.« Und weiter: »Bei Einsätzen ist auf internationaler Ebene ebenfalls ein umfassender vernetzter Ansatz erforderlich, der zivile und militärische Instrumente wirksam verbindet.«
Wer zwischen den Zeilen lesen kann und Dokumente des NATO-Bündnisses hinzuzieht, versteht auch die folgende Weißbuch-Passage, die Köhler bei seinen Übersetzungsbemühungen gleichfalls im Kopfe gehabt haben mag: »Verwerfungen im internationalen Beziehungsgefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und Unterbrechungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswirkungen auf nationale Wirtschaftsstrukturen, Wohlstand und sozialen Frieden.«
Energiesicherheit und Migration bergen laut Weißbuch gleichfalls Gefahren in sich. Sogar grenzüberschreitende Pandemien, Seuchen und Aids werden aufgeführt. Gegen all das müsse man »das gesamte sicherheitspolitische Instrumentarium einbeziehen«. Daher werde die Bundesregierung »auch künftig in jedem Einzelfall prüfen, welche Werte und Interessen Deutschlands den Einsatz der Bundeswehr erforderlich machen«. So etwa hat es Köhler ja auch gesagt.
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