Groll nach unfreundlicher Übergabe

Politische Öffentlichkeit findet wenige anerkennende Worte für den zurückgetretenen Bundespräsidenten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Als sei Deutschland enthauptet worden: Der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler wird zur Staatskrise stilisiert. Dabei verfügt der Präsident in Deutschland kaum über reale Macht. Seine Aufgaben sind vor allem repräsentative. Was ist also dran an der öffentlichen Panik?

Die Kommentatoren gehen nicht zimperlich um mit dem Präsidenten a.D.. Als überfordert habe sich Horst Köhler gezeigt. Das Amt, das er zu schützen vorgab, habe er selbst mit seinem übereilten Rücktritt beschädigt. Mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise das Weite zu suchen, zeuge noch nachträglich von mangelnder Eignung. »Unverantwortlich«, so lautet das wenig respektvolle Urteil. Und der Gipfel aller Vorwürfe: Die Krise, in die Köhlers Entscheidung fällt, scheint nun bereits die Stabilität des Staates zu gefährden.

Köhlers Kapitulation trifft Merkels Lager

Abgesehen von allen Bewertungen der Persönlichkeit Köhlers, von möglichen Überforderungen, die ihm nun angelastet werden – eines stimmt nicht. Dass Köhlers Abschied das Land dem Abgrund auch nur einen Zentimeter näherbrächte. Selbst das weiter sinkende Vertrauen der Bevölkerung in die Politik, wenn der Rücktritt dieses tatsächlich bewirken sollte, kann allenfalls die Regierungskoalition direkt treffen. Bei ihr liegt die Verantwortung für die aktuellen Entscheidungen der Politik.

Was freilich stimmt: Köhler verschärft die Probleme der Regierungskoalition, und wer in ihrem Fall von Krise spricht, muss auch der Meinung sein, dass Köhler diese nun verschärft. Denn immerhin war Horst Köhler der Wunschkandidat von Angela Merkel und Guido Westerwelle schon 2004, lange bevor beide mit einiger Verspätung im Duo Bundeskanzlerin und Vizekanzler wurden. Köhlers Nominierung war eine Kampfansage an die damalige rot-grüne Bundesregierung. Köhlers Kapitulation ist damit Niederlage dieses Lagers.

Schwarz-Gelb gilt mittlerweile als Inbegriff des Chaos. So viele öffentlich zur Schau getragene Querelen sind selten in einer Regierung. Gemessen an dieser ist die einst von Konservativen und Liberalen als Chaostruppe beschimpfte Koalition von Gerhard Schröder eine Mustermannschaft gewesen. Allerdings hat Schröder seine Truppe mehrmals per Machtwort auf Linie gebracht. Anders als die Bundeskanzlerin. Diese schwieg, als CSU und FDP um Steuerkonzepte und Kopfpauschale stritten. Guido Westerwelle hat lange gebraucht, bis er seine schrillen Auftritte abstellte – »Sie kaufen mir meinen Schneid nicht ab!« – und sich in die Rolle des Außenministers schickte.

Nur das i-Tüpfelchen

Zu allem Überfluss hat erst vor Tagen der hessische Ministerpräsident Roland Koch seinen Abschied angekündigt. Doch es sind genug inhaltliche Probleme, mit denen die Regierungskoalition konfrontiert ist – Eurokrise und Haushaltsnot, Gesundheitsreform und Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zur Gestaltung des Arbeitsmarkts. In Nordrhein-Westfalen ging die Wahl verloren, die Bundesratsmehrheit ist damit futsch. Auf dem chaotischen Bild der Koalition ist Köhlers Rücktritt nur das i-Tüpfelchen.

Trotzdem – bekanntlich ist es zuletzt immer ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Bundeskanzlerin, zugleich CDU-Vorsitzende ist, wird mit Unbehagen die jüngsten Umfrageergebnisse registriert haben. 30 Prozent gaben auf die Sonntagsfrage ihrer Partei ihre Stimme, wie aus dem jüngsten Stern-RTL-Wahltrend hervorgeht, zwei Prozentpunkte weniger als in der letzten Woche. Es handele sich um den schlechtesten Wert in der Umfrage seit Spätsommer 2006. Die FDP verharrt derzeit bei sieben Prozent.

Anerkennung erfährt Köhler allerdings auch. Der Naturschutzbund Deutschland bedauerte, dass mit Köhler ein Politiker die Bühne verlasse, »der sich in seinen sechs Jahren Amtszeit mit ökonomischem Sachverstand in vielfältiger Weise für den Natur- und Umweltschutz stark gemacht hat«. Auf mehr sachliche Anerkennung kann er derzeit offenbar nicht hoffen. Doch immerhin handelt es sich um eine parteipolitisch unabhängige Gruppierung, dieses Lob wiegt schwerer als die unverbindlichen, schmallippigen Würdigungen der Parteioberen in diesen Tagen.

Das Risiko lieber gering halten

Eines dürfte der Politik so schnell nicht wieder passieren: ein sogenannter Seiteneinsteiger für diesen Posten, auf dem man nicht viel ausrichten, aber doch so viel anrichten kann. So dürften Stefan Raab und Joachim Gauck schon das Namensgerangel kaum überstehen. Als Vertreter des professionellen Politikbetriebs sind unter anderen genannt: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Bayerns Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, NRW-Regierungschef Jürgen Rüttgers, Bildungsministerin Annette Schavan, Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff. Auch die Wissenschaftlerin Gesine Schwan und die Theologin Margot Käßmann helfen die Listen füllen. Natürlich auch Joschka Fischer.

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