»Niedriglohn als Standortvorteil«
Kampagne für einen grenzüberschreitenden Mindestlohn in der Bekleidungsindustrie
ND: Die internationale Clean Clothes Campaign und die deutsche Kampagne für Saubere Kleidung werben für Fair Play in der Bekleidungsindustrie. Gibt es Mindestlöhne in den asiatischen Produzentenländern?
Tambunan: Vielerorts ist ein Mindestlohn festgeschrieben. Beispielsweise in Indonesien wird er von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt. Er ist trotzdem nicht ausreichend, um elementare Lebenshaltungskosten zu decken. Niedrige Löhne gelten als Standortvorteil. Die Näherinnen in der Bekleidungsindustrie werden in Konkurrenz zueinander gebracht. Die Kampagne für einen asiatischen Grundlohn nutzt das Konzept der Kaufkraftparität (KKP), um trotz unterschiedlicher Währungen einen grenzüberschreitenden Grundlohn zu bestimmen.
Lässt sich die Forderung der Asia Floor Wage Campaign (AFWC) mit der Gewerkschaftskampagne für einen Mindestlohn in Deutschland vergleichen?
In Deutschland stellt sich das Problem anders. Hier hängt die Durchsetzung eines Mindestlohns von der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften ab. Dort, wo es keine gemeinsamen Lohnverhandlungen gibt, können sich die Unternehmen ihrer Verantwortung entziehen. Zum Beispiel, indem sie eine Organisierung der Lohnabhängigen verhindern. Daher versuchen die Gewerkschaften hier, kollektive Tarifverhandlungen mit der Einführung eines verpflichtenden Mindestlohnes zu verbinden.
Wie viel erhält eine indonesische Näherin im Vergleich zu einer deutschen Angestellten?
Ich habe Gebäudereinigerinnen in Kassel getroffen, die fünf bis acht Euro verdienen, 40 bis 64 Euro am Tag. Deutsche Gewerkschaftsvertreterinnen fordern bis zu zehn Euro Mindestlohn. Die Ausgaben für Nahrungsmittel betragen für eine Familie mit zwei Kindern mindestens 25 bis 35 Euro am Tag. In der indonesischen Stadt Jakarta verdient eine Näherin umgerechnet 3,80 Euro am Tag. Dabei kosten Grundnahrungsmittel für eine Familie zehn bis zwölf Euro. Es gibt zudem kein soziales Sicherungssystem. Fast alle Kosten müssen individuell aufgebracht werden.
Was sagen die nationalen Regierungen zur Grundlohnkampagne?
Die Regierungen verfolgen exportorientierte Strategien. Die Produktionsstätten bleiben auf ausländische Investoren angewiesen. Wir wollen mit den Regierungen kooperieren, das erfordert viel Überzeugungsarbeit. Vor allem aber zielen wir direkt auf die ausländischen Konzerne, angefangen mit den größten Drei: Wal-Mart, Carrefour und Tesco, sowie Nike, Lidl und Kik in Deutschland.
Was sind akute Probleme, mit denen sich die Kampagne befasst?
Wir sorgen uns über die Informalität in den Arbeitsverhältnissen. Der größte Teil der Arbeit wird von Frauen zu Hause verrichtet, ohne verbindlichen Arbeitsvertrag. Aber auch die Näherinnen und Näher in den Fabriken können sich kaum auf die Einhaltung formaler Verträge verlassen.
Welche Verantwortung haben die Konzerne und Markenfirmen?
Die großen Konzerne engagieren globale Einkaufsmakler, die die verschiedenen Produktionsstandorte vergleichen und direkt in den Ländern sitzen. Die regionale Produktion wird just-in-time in die transnationalen Produktionsketten eingegliedert. Die nationalen Firmen beschäftigen jeweils eigene Zulieferer, die lokale Heimarbeit mit einbeziehen. So stehlen sich die großen Markenfirmen aus der Verantwortung. Doch durch die direkte Vorgabe von Lieferfristen und Preisen beeinflussen sie die soziale Qualität der Arbeitsbedingungen massiv.
Was sagen Sie zu den Berichten über Gewalt und Bestechungsversuche gegenüber den Gewerkschaftern?
Gibt es nicht überall gezielte Korruptionsversuche? Die Frage ist, wie eine Gewerkschaft als Organisation autonom bleiben kann und ob die Mitglieder ihre Führung kontrollieren können. Die Mitglieder müssen an allen strategischen Entscheidungen partizipieren. Daher agiert unsere Kampagne mitunter sehr langsam. Wir wollen den Gewerkschaften genug Zeit geben, um ihre Mitglieder umfassend zu informieren. Vielen stellt sich auch die Frage, warum sie sich an einer asienweiten Kampagne beteiligen sollen, wenn sie doch erst einmal bessere Arbeitsbedingungen im eigenen Land durchsetzen wollen. Letztlich entscheiden sich aber viele für eine Beteiligung. Das ist ein Erfolg.
Welche Rolle spielen die Kundinnen und Kunden in Europa?
Es ist nicht die Schuld der Konsumenten. Es ist menschlich, günstige Produkte zu kaufen, vor allem, wenn es die eigene ökonomische Situation so erfordert. Ich glaube nicht, dass es darum geht, ob die Kleidung zu billig ist oder nicht. Die transnationalen Konzerne müssen ihre Profite mit den Arbeiterinnen und Arbeitern teilen. Die Konsumenten können dabei Druck auf die Konzerne ausüben und Protestpostkarten schicken.
Die Mehrzahl der Arbeitenden in der asiatischen Bekleidungsindustrie ist weiblich.
Der asiatische Grundlohn ist ein Familienlohn und damit geschlechtsneutral. Die Gewerkschaften begreifen langsam, dass sie sich um die Frauen bemühen müssen. In Jakarta wurde das erkannt, die Gewerkschaft beteiligt sich inzwischen an unserem Bündnis. Anderseits kann eine Gewerkschaft die Frauen nur schwer unterstützen, wenn sie in informellen Arbeitsverhältnissen arbeiten und selber keine Gewerkschaftsmitglieder sind. Sie müssen sich organisieren.
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