Selbstmord in der Haftanstalt
Hamburgs Justizsenator zum Tod von Mike S.
In der Nacht vom 11. zum 12. Mai erhängte sich der 43-jährige Mike S. im Zentralkrankenhaus der Untersuchungs-Haftanstalt Hamburg. Bereits Anfang März hatte ein vermutlich minderjähriger Georgier in Abschiebehaft Selbstmord begangen, Anfang April hatte sich eine 34-jährige Indonesierin umgebracht – auch sie war ein Abschiebehäftling. Die Häufung der Fälle hatte in der Hansestadt für Unruhe gesorgt, Hunderte Flüchtlingsaktivisten gingen gegen die Abschiebehaft auf die Straße.
Keine akute Suizidgefahr
Bei Mike S. handelte es sich dagegen um einen Ostdeutschen, der in Schleswig-Holstein lebte. Seinem Selbstmord ging ein tragischer erster Suizidversuch Ende März voraus. Mike S. hatte damals seinen Wagen abrupt in einen entgegenkommenden Schulbus gesteuert. In Selbstmordabsicht tötete er den Busfahrer und verletzte seinen vierjährigen Sohn, der auf dem Beifahrersitz saß, schwer. Mike S. selbst erlitt dabei Beinverletzungen. Zunächst wurde er in einem Flensburger Krankenhaus behandelt. Weil er Mitte April als transportfähig galt, wurde er in das Hamburger Zentralkrankenhaus verlegt. Es lag ein Haftbefehl gegen ihn vor.
Nach Angaben von Justizsenator Till Steffen von der GAL untersuchte eine Psychologin den Patienten Mike S. in der U-Haft-Klinik insgesamt fünf Mal. Sie habe dabei keine Anzeichen für eine akute Suizidgefahr feststellen können. Zwei Oppositions-Abgeordnete fragten Steffen in der Ausschussanhörung, wie es möglich sei, nach einem Selbstmordversuch eine Eigengefährdung auszuschließen. Der Senator antwortete, solange keine konkreten Hinweise vorlägen, dass ein Suizid unmittelbar bevorstehe, müsse eine Gefährdung verneint werden. Denn sowohl die Gefängnispsychologin als auch die anderen Beschäftigten sowie der Mithäftling von Mike S. hätten die Stimmung des Ostdeutschen als positiv bewertet.
Dennoch habe die Anstaltsleitung den Häftling weiter beobachtet, so Steffen. Dazu habe außer den psychologischen Gesprächen auch die Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle sowie der häufige Kontakt mit dem Pflegepersonal und den Ärzten gedient. Seit Jahresbeginn sei bei 138 Häftlingen Suizidgefahr festgestellt worden, die Justizangestellten seien also routiniert im Umgang mit gefährdeten Menschen.
Die Gefängnispsychologin habe Mike S. attestiert, sein erster Selbstmordversuch sei situationsbedingt gewesen, erklärte der Senator. Außerdem habe er sich durch Verdrängung Distanz zum Geschehen verschafft. Obwohl Mike S. seit fast zwei Monaten inhaftiert war, wurde er aber von keinem Psychiater untersucht, der die Psyche des Häftlings medizinisch begutachtet hätte.
Vier Maßnahmen
Auf Nachfrage von Abgeordneten schilderte Senator Steffen die Konsequenzen, die die Justizbehörde zu ziehen gedenkt. Immerhin seien in knapp zwei Monaten drei Menschen in Obhut der Rechtspflege umgekommen, so Christiane Schneider von der Linksfraktion.
Steffen nannte dazu vier Maßnahmen. Erstens müsse es dem Gefängnispersonal ermöglicht werden, schon bei latenter Selbstmordgefahr aktiv zu werden – nicht erst bei akuter. Zweitens solle das psychologische Gutachten um die Stellungnahme einer weiteren Person ergänzt werden. Drittens werde man künftig die Suizidambulanz der Uniklinik zu den Konferenzen nach Selbstmordfällen hinzuziehen. Und viertens wolle die Justizbehörde mehr gefährdungsarme Räume in allen Haftanstalten einrichten, so der Senator.
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