Am Konfliktstoff Kohle soll es nicht scheitern

In NRW begannen die Koalitionsverhandlungen über eine rot-grüne Minderheitsregierung

  • Marcus Meier, Köln
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach eineinhalb Stunden war die erste Koalitionsverhandlungsrunde zwischen SPD und Grünen in NRW beendet – und ein erstes Gesetzesvorhaben wurde verkündet: Vor der Sommerpause sollen die Kopfnoten auf den Schulzeugnissen abgeschafft werden. Mit der Energiepolitik wartet allerdings noch der härteste Verhandlungsbrocken.

Kein Blatt Papier schien in den letzten Wochen zwischen SPD-Verhandlungsführerin Hannelore Kraft und ihr grünes Pendant Sylvia Löhrmann zu passen. Gleichsam als rot-grüner Block suchten sie nach einem dritten Partner, sondierten gemeinsam mit FDP und Linkspartei. Erfolglos. Seit gestern Nachmittag nun verhandeln die beiden Frauen über die Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung für Nordrhein-Westfalen. Dabei wird nicht unbedingt, wie der »Focus« vermutet, »Kuscheln bis zum Umfallen« angesagt sein.

Der Konfliktstoff ist mal schwarz und mal braun, er brennt recht gut und war früher einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Bundeslandes. Doch er schädigt massiv das Klima des Planeten. Der Konfliktstoff heißt Kohle. Wie lange noch soll sie in NRW gefördert werden? Sollen neue Kohlekraftwerke gebaut und alte am Netz bleiben? Darüber stritt, und das nicht zu knapp, bereits die erste rot-grüne Landesregierung der Jahre 1995 bis 2005.

Zum Beispiel versuchte die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn den Braunkohleabbau im rheinischen Garzweiler aufzuhalten. Sie war damit so lange leidlich erfolgreich, bis ihr der damalige SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement 2000 die Verantwortung für das Ressort Raumplanung und damit den wichtigsten Machthebel entzog. Es war eine von vielen Demütigungen jener rot-grünen Jahre.

Geht man von den aktuellen Wahlprogrammen beider Parteien aus, so finden sich immer noch energiepolitische Widersprüche in reichlicher Menge. Die SPD setzt insbesondere auf Kohleverstromung und den »heimischen Bergbau«. Die Grünen bestehen auf dem Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau und bekämpften den Braunkohleabbau (Stichwort: Garzweiler) zumindest in früheren Jahren massiv. Neue Kohlekraftwerke wollen sie verhindern.

Die SPD fordert eine »CO2-arme Kohleverbrennung«. Den von den Sozis beworbenen CCS-Technologien (Carbon capture and storage) wollen die Grünen »entschiedenen Widerstand« entgegensetzen. Denn die Kohlendioxidabscheidung solle, so die Öko-Partei, »nach den Wünschen der großen Energieversorger die Fortsetzung der Kohleverstromung in NRW gewährleisten«. Insbesondere sucht die SPD »den Dialog mit der RWE Power AG«. Für die Grünen war, ist und bleibt RWE ein rotes Tuch. Dem Konzern werfen die Grünen »überhöhte Preise, eine unzureichende Innovationsdynamik und massive Behinderungen beim Ausbau erneuerbarer Energien« vor. »RWE hat immer wieder Versprechungen gebrochen«, resümierte Ex-Ministerin Höhn noch 2007 die Erfahrungen ihrer zehnjährigen Amtszeit. »Wir NRW-Grüne sagen immer: RWE = SPD = NRW.«

Trotz des hohen Konfliktpotenzials – SPD-Chefin Hannelore Kraft zeigte sich gestern »sehr zuversichtlich«, dass man sich energiepolitisch einigen werde. Die Kohlefrage sei das »schwierigste Thema«, bekannte die grüne Chefverhandlerin Löhrmann. Doch wüssten alle Beteiligten, dass man Kompromisse finden müsse. SPD und Grüne setzten zehn Arbeitsgruppen für die einzelnen Themenbereiche ein. Die Verhandlungsdelegationen sollen am Freitag erneut zusammenkommen, um Zwischenergebnisse zu bewerten. Der Druck auf SPD und Grüne ist hoch: Schon am 10. Juli sollen Parteitage über den Koalitionsvertrag abstimmen, am 13. oder 14. Juli soll Kraft zur Ministerpräsidentin gewählt werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -