- Politik
- Brüsseler Spitzen
Freiwillig funktioniert nicht
Zwei Jahre ist das Lobbyregister der EU-Kommission am Mittwoch alt geworden. Zwar wollen wir der EU-Kommission dazu gratulieren, dass sie – im Gegensatz zur deutschen Politik – überhaupt die Initiative für ein Lobbyregister ergriffen hat. Die daran gesetzte Erwartung allerdings, dass im Brüsseler Lobbydschungel Transparenz geschaffen würde, ist enttäuscht worden. Nach wie vor hat die europäische Öffentlichkeit kaum Einblick, was etwa 15 000 Lobbyisten in Europa treiben und wer mit welchem Geld welche Entscheidungen beeinflusst.
Es war von Anfang an ein Fehler der EU-Kommission, sich auf das Drängen der Brüsseler Lobbyisten hin auf ein freiwilliges Register einzulassen, statt – wie ursprünglich geplant – ein verpflichtendes einzuführen. Der Ansatz, davon auszugehen, dass sich die Brüsseler Lobbyszene schon freiwillig in ein Register eintragen wird, kann endgültig für gescheitert erklärt werden.
Unsere Zahlen zeigen: Nur 1068 Organisationen beziehungsweise Unternehmen haben sich in das Brüsseler Lobbyregister aufnehmen lassen. Das Europäische Parlament geht jedoch von über 2800 Lobbyeinrichtungen in Brüssel aus. Nach den bisherigen Schätzungen haben sich damit deutlich weniger als die Hälfte der in Brüssel ansässigen Lobbybüros eintragen lassen. Schlüsselakteure wie Lobbyberatungen und Unternehmensniederlassungen sind massiv unterrepräsentiert. In einer Studie zeigten wir mit unserem Brüsseler Netzwerk ALTER-EU im März 2010 auf, dass gerade einmal 40 Prozent der in Brüssel bekannten Agenturen und Büros, die Lobbyberatung und -dienstleistungen anbieten, im Register eingetragen sind. Eine Studie von »«Friends of the Earth Europe« hat gezeigt, dass sich 20 von Europas 50 größten Firmen nicht registrieren lassen haben. Anwaltskanzleien, die eine wichtige Rolle im Brüsseler Lobbyismus spielen, erklären nach wie vor, dass sie sich aufgrund rechtlicher Vorgaben nicht eintragen können. Viele und namhafte Thinktanks boykottieren das Register.
Die Kommission muss endlich eingestehen, dass sie aufgrund dieser erdrückenden Fakten nicht länger von einem Erfolg des Registers sprechen kann. Auch wenn das unbequem ist. Denn der ursprünglich zuständige Kommissar Siim Kallas hatte versprochen, ein verpflichtendes Register einzuführen, falls das freiwillige nicht funktioniert.
Eine Chance bietet sich jetzt: Derzeit diskutiert eine hochrangige Arbeitsgruppe ein gemeinsames Lobbyregister für Kommission und Parlament, das im Juni 2011 in Angriff genommen werden soll. Die Kommission sollte diesmal die Einflüsterungen der Lobbyisten ignorieren und mittragen, was das Parlament schon lange will: ein verpflichtendes Register für alle Lobbyistinnen und Lobbyisten, die weiterhin mit Kommission und Parlament in Kontakt treten wollen.
Auch muss die Arbeitsgruppe sich daran machen, in einem gemeinsamen Register der beiden Institutionen für brauchbare und vergleichbare Angaben zu sorgen. Das bestehende Register enthält zahlreiche Schlupflöcher. Zum Beispiel muss endlich definiert werden, was eigentlich genau in das Lobbyregister gehört. Ansonsten werden Unternehmen weiterhin die unklaren Anforderungen zur grenzenlosen Untertreibung ihrer Lobbykosten nutzen. So flog der Verband der europäischen Chemieindustrie CEFIC im Jahr 2009 vorübergehend aus dem Register, weil er für seine 170 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Brüsseler Dependance ein Lobbybudget von gerade einmal 50 000 Euro angegeben hatte. Zum Vergleich: Der Dachverband nationaler Umweltorganisationen, »Friends of the Earth«, gibt mit seinen 20 Beschäftigten ein Lobbybudget von zwei Millionen Euro an.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.