Das Gespenst sucht sich selbst
Ideen vom Kommunismus in der Volksbühne
Fast schon schreiend waren die Buchstaben, in denen am Wochenende das Wort »Kommunismus« am der Berliner Volksbühne prangte. 20 Jahre nach dem Zusammenbruch im Osten und wenige Wochen nach der letzten hektisch vereitelten globalen Finanz-Kernschmelze pflegte man dort einen offensiven Umgang mit dem tabuisierten Begriff.
Anders als in der Ökonomie erlebt der Kommunismus im Reich der Philosophie derzeit eine erstaunliche Renaissance; an die 20 Referenten und mehrere hundert Besucher des Kongresses über die »Idee des Kommunismus« zeugten davon. Wer freilich kämpferische Reden erwartet hatte, wurde enttäuscht: Schon eingangs sagte der französische Philosoph und Kongress-Initiator Alain Badiou, es müsse – wohlgemerkt ohne historische Scheuklappen – zunächst der Begriff diskutiert werden.
Mit Antonio Negri und Slavoj Zizek besorgten dies am Freitag gleich zwei der angesagtesten zeitgenössischen Theoriegrößen. Negri, bei dessen emotionalen Vortragsstil man sich bis heute illustriert vorstellen kann, wie der inzwischen 77-Jährige vor 40 Jahren auf den wilden Streiks in Italien agitierte, blieb inhaltlich zurückhaltend: »Existiert heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, eine Arbeiterklasse – und wenn ja, wie setzt sie sich zusammen?« Für Negri, der bereits in seinem Buch »Empire« auf die Suche nach einem Subjekt historischer Veränderung ging, ist dies die nach wie vor dringlichste Frage einer Bewegung der »absoluten Demokratie«.
Den Kommunismus brachte Negri indes nur mit einer allgemeinen Idee von Emanzipation in Verbindung – ganz ähnlich wie Slavoj Zizek, der von einem »egalitären Geist der ewigen Rebellion« sprach. Hat Zizek recht, wird dieser dringend gebraucht: Der Kapitalismus werde sich, so Zizek, mehr und mehr am überlegen effizienten China orientieren und autoritär-populistische Systeme mit Gallionsfiguren wie Silvio Berlusconi gebären. Nur eine radikale Linke könne dauerhaft Freiheiten erkämpfen. Wie dies organisatorisch aussehen könnte, blieb in dem in Popstar-Pose vorgebrachten, mit Gramsci-, Lenin- und Hegelzitaten vollgestopften Vortrag allerdings reichlich vage.
Das Gespenst mag sich noch nicht gefunden haben, doch ist auch die Suche eine Bewegung – und als Experte für Organisationsfragen hat sich der 1949 geborene Psychoanalytiker, Philosoph und Kulturkritiker ohnehin nie beworben. Sein Schlachtfeld ist das der Meta-Politik, wo er »unzeitgemäße« Konzeptionen wie Kollektivität hochhält und auf den »postmodernen« Zeitgeist einprügelt, der bereits drei zusammenhängende Gedanken als »große Erzählung« unter Ideologieverdacht stellt und ab dem fünften von einer Verschwörungstheorie ausgeht.
So ist, bei aller Kritik an den 55 Euro Eintrittspreis für die Zizek-Show, das verbreitete altlinke Naserümpfen über den Pop-Kommunisten vor allem unfreiwilliger Ausweis mangelnden Verständnisses gesellschaftlicher Hegemonie.
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