Einwürfe, Fußnoten

Fußball-WM (16)

  • Hans-Tim Zaurit
  • Lesedauer: 3 Min.

JEDER HAT ES GESEHEN: Nach Frank Lampards Lattenknaller im Achtelfinalspiel zwischen England und Deutschland prallte der Ball einen halben Meter hinter der Linie auf, ehe Manuel Neuer ihn aus dem Tor fischte. Jeder hat es gesehen – mit Ausnahme des Schiedsrichtergespanns. Reguläre, aber nicht anerkannte Tore, gezählte Treffer aus Abseitspositionen, nicht geahndete Handballeinlagen – die Fehlentscheidungen der Referees sind der große Aufreger dieser WM. FIFA-Präsident Joseph Blatter hat sich jetzt bei den Leidtragenden entschuldigt. Womöglich wäre ja England noch dabei, hätte es nach Lampards Kracher 2:2 gestanden. Aber nicht die Theorie schreibt Geschichte, sondern die vom menschlichen Makel gezeichnete Praxis. Die Lehrbücher mögen noch so eindeutig sein, in ihrer Anwendung bricht jede objektive Maßgabe am Subjekt.

Im Fußball spricht man bis heute von Tatsachenentscheidungen, die durch keinen Besserwisserbeweis anzufechten sind. Aber was ist die Hand Gottes gegen die unsichtbare Hand des Marktes? Im Geschäft geht es um Zählbares; der unberechenbare Mensch verpfuscht die Bilanzen. Seit Langem steht deshalb die Forderung nach technischen Lösungen in der Tiefe des Raums. Die Wahrnehmung des Menschen soll durch die Wahrheit der Maschine abgelöst werden. Bislang war die FIFA dagegen, doch jetzt lenkt Blatter ein. Man sei zu Gesprächen bereit.

Wir finden: Wenn die Fehler der Schiedsrichter nicht hingenommen werden, sollte dasselbe für die Fehler der Spieler gelten. Wer ungenaue Pässe schlägt, wer den Ball meterweit über das Tor semmelt, wer jeden Zweikampf in der eigenen Hälfte verliert –, der sollte durch einen Roboter ersetzt werden. Endlich kein Versagen mehr und kein Erregungspotenzial. Nur noch Langeweile. Martin Hatzius

APROPOS LANGEWEILE: Heute ist schon der zweite spielfreie Tag. So tief man die Knöpfe auch in die Fernbedienung drückt, auf keinem Kanal Fußball live. Wann hatten wir das zuletzt? Nirgendwo 120 fesselnde Minuten, in denen sich Paraguay und Japan aber auch gar nichts schenken, nicht mal ein Tor. Nirgendwo das Vuvuzela-Dröhnen, das wir anfangs so nervtötend fanden und nach dem wir uns nun so verzehren. Nirgendwo flackernde Videowände und laufende Flachbildschirme vor überfüllten Kneipen und Imbissbuden. Was macht man denn da? Mathias Runitz

APROPOS SUCHT: Raten Sie mal, wie viel Bier deutsche Brauer während der Weltmeisterschaft zusätzlich abzusetzen hoffen! Nein, nein, Sie liegen völlig falsch, es ist weit mehr: 200 Millionen Liter. Und bis jetzt deutet vieles darauf hin, dass der Plan sich erfüllen lässt. Angewiesen ist die heimische Bierindustrie nach eigenem Bekunden aber auf die Schützenhilfe von Özil, Müller, Klose und Co. Nur bei einem erfolgreichen Turnierverlauf für die deutsche Mannschaft, heißt das, fließt das Bier in Strömen. Siegen und Saufen: eine dialektische Einheit.

Angenommen, der vom sportlichen Erfolg berauschten Nation wird durch einen argentinischen Viertelfinalsieg eimerweise Eiswasser über die kochenden Köpfe gekippt; was passiert dann? Weltoffen, wie wir sind, sollten wir in diesem Fall schleunigst auf Mate-Tee umsteigen, das argentinische Nationalgetränk, und fortan mit den Besseren fiebern. Auf Mate steht man auch in Paraguay und in Uruguay: gut für alle, denen das Durcheinandertrinken nicht bekommt. Sollte sich am Ende aber die vierte Mannschaft aus Südamerika durchsetzen, Brasilien, sind wir wieder ganz bei uns: Da wie hier wird am liebsten Bier getrunken. Prost!

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