Madrider Chaos

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Ralf Streck, San Sebastian

Die meisten Menschen in Deutschland dürften kaum gemerkt haben, dass Spanien turnusgemäß sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft innehatte. Den Spaniern geht es nicht viel anders, denn innerhalb und außerhalb des Landes bestimmten andere Schlagzeilen das Bild. Da ist die Rekordarbeitslosigkeit von über 20 Prozent, ein riesiges Haushaltsdefizit, fast so hoch wie in Griechenland, und so einige sehen schon den Pleitegeier über Spanien kreisen, dessen Sparkassen abstürzen.

Der Regierungschef José Luis Zapatero war tief im hausgemachten spanischen Chaos verstrickt. Weil der EU-Ratspräsident in den vergangenen Monaten ums politische Überleben seiner Minderheitsregierung kämpfen musste, kümmerte er sich kaum um EU-Belange. Aber weil mit Zapatero gleichzeitig Herman van Rompuy das neue Amt als »Ständiger Ratspräsident« übernahm, fiel das meist nicht auf. Schmerzhaft bekamen es aber im April viele Reisende zu spüren. Denn Spanien brauchte fünf Tage, um angesichts des Chaos im europäischen Flugverkehr eine Videokonferenz einzuberufen, um wegen der Aschewolke aus Island ein gemeinsames Vorgehen in der EU abzustimmen.

Von einer »historischen« Präsidentschaft hatte Zapatero geschwärmt, denn er wollte als erster EU-Präsident unter dem gerade in Kraft getretenen Lissabon-Vertrag eine neue Ära einläuten. Doch dieser Vertrag bescherte Zapatero vor allem Kompetenzgerangel mit van Rompuy oder der neuen EU-Außenministerin Catherine Ashton. Und er wollte auch erfolgreiche Rezepte gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise entwickeln, womit er sich erwartungsgemäß übernahm. Denn Spanien schlittert seit drei Jahren weitgehend führungslos durch die Krise. Von seinem Ziel, die Wirtschaft der Union »produktiver, innovativer und nachhaltiger« zu machen, hat sich Spanien in fünf Jahren unter dem Sozialdemokraten noch weiter entfernt.

Sein »Begrüßungsvorschlag« im EU-Vorsitz, Sanktionen gegen Mitgliedstaaten zu verhängen, die zu wenig für die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft tun, verärgerte deshalb viele, weshalb er auch in der Versenkung verschwand. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nutzte das Vakuum, um seine Vorstellungen einer europäischen Wirtschaftsregierung voranzutreiben. Inzwischen wendet sich mit Schweden ausgerechnet Spanien gegen eine Änderung des EU-Vertrags, um Haushaltssünder besser zu disziplinieren.

Ausgefallen sind auch zwei Termine, mit denen sich Zapatero weltweit im Scheinwerferlicht zeigen wollte. Zunächst sagte USA-Präsident Barack Obama die Teilnahme am EU-USA-Gipfel ab. Er störte sich nicht zuletzt an der Inhaltsleere des Programms. Auch der Gipfel der Mittelmeeranrainer musste abgesagt werden. Und der EU-Lateinamerika-Gipfel fiel fast ins Wasser. Wichtige Staatschefs ließen sich nur kurz sehen oder reisten gar nicht an. Zwar wurde dabei zumindest ein Freihandelsvertrag mit Zentralamerika unterschrieben, doch der Dialog mit Kuba, den Spanien vorantreiben wollte, kam nicht in Gang.

In Brüssel scheint man diese Präsidentschaft schnell vergessen zu wollen. Als vergangene Woche im Europaparlament über den EU-Gipfel und die »Strategie 2020« debattiert wurde, bedankte sich weder van Rompuy noch EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso bei Spanien, obwohl doch das Papier in Sitzungen unter spanischem Vorsitz ausgearbeitet wurde.

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