Die Bürgerplattform hat nun die ganze Macht
Bronislaw Komorowski wurde am Sonntag zum neuen Staatspräsidenten Polens gewählt / Regierungslager steht vor schwierigen Reformen
Am Montagfrüh stand es nach einer dramatischen Wahlnacht und der Auszählung fast aller 26 000 Wahllokale im Lande dann endgültig fest: Mit 52,6 Prozent der Stimmen wird der liberal-konservative Parlamentschef Bronislaw Komorowski neuer Präsident Polens. Sein national-konservativer Herausforderer Jaroslaw Kaczynski, Zwillingsbruder des abgestürzten Vorgängers Lech Kaczynski, erreichte 47,4 Prozent. Nur gegen Mitternacht hatte der PiS-Kandidat ein Mal kurz vorn gelegen, am Ende bestätigte sich aber bei einer Wahlbeteiligung von 55 Prozent Komorowskis Fünf-Prozent-Vorsprung aus dem ersten Urnengang vor zwei Wochen. Absolut lag der Unterschied zwischen den Kandidaten der beiden konservativen Parteien bei 840 000 Stimmen. Komorowski siegte in neun der 16 Woiwodschaften. Regional gesehen stimmten der Westen und der Norden des Landes, infrastrukturell und wirtschaftlich deutlich deutlich höher entwickelt, für den Vertreter der Bürgerplattform, im Osten und Südosten, an der sogenannten »Ostwand« Polens, lag der Anwärter der PiS vorn.
Wie die ersten Analysen zeigen, dürften rund 80 Prozent der Wählerschaft des linken Kandidaten Grzegorz Napieralski, der im ersten Wahlgang auf fast 14 Prozent kam, ihre Stimme dieses Mals an Komorowski gegeben haben. Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski lobte diese Tatsache als Zeichen des Verantwortungsgefühls der SLD-Basis. Es sei gut, dass der PO-Mann gesiegt habe, betonte Kwasniewski, weil er berechenbar sei und über Erfahrungen in der Staatsführung verfüge. Tatsächlich war der Historiker Komorowski Ressortchef im Verteidigungsministerium und sitzt seit drei Jahren als Sejmmarschall dem Parlament in Warschau vor. Seit dem Flugzeugunglück am 10. April bei Smolensk fungierte er auch als Staatsoberhaupt.
Am Wahlabend betonte der Sieger, in Polen habe die Demokratie gewonnen, erinnerte mehrmals an den Spruch »Keine Solidarnosc ohne Freiheit, keine Freiheit ohne Solidarnosc« und machte sein eigenes und das Wahlmotto seines Gegners zu einem Slogan: »Eintracht baut auf – Polen ist das Allerwichtigste«. Er gab mit Blick auf die Ergebnisse der Stichwahl zu, dass das Land gleichsam halbiert sei und meinte damit wohl auch die Aufspaltung der aus dem »Solidarnosc«-Lager hervorgegangenen Parteien. Was er vergessen hat, war der Hinweis darauf, dass 45 Prozent der 30,6 Millionen Stimmberechtigten, mithin also fast 15 Millionen Menschen, an dem demokratischen Wahlakt erst gar nicht teilgenommen haben.
Jaroslaw Kaczynski, der Verlierer, gratulierte am Wahlabend zuerst seinem Widersacher und betonte dann – Józef Pilsudski zitierend –, dass »besiegt zu werden und nicht unterliegen« jetzt das Gebot der Stunde sei. Die PiS müsse weiterhin voll mobilisiert bleiben, im Herbst stünden schließlich Kommunalwahlen und im nächsten Jahr dann Parlamentswahlen an. Noch vor vier Monaten, erinnerte Kaczynski, »wurden wir mit 25 Prozent in der Wählergunst bewertet, jetzt haben wird beinahe das Doppelte. Wir werden weiter machen und siegen.«
Die am Sonntag siegreiche Bürgerplattform hat nun mit der Regierung und den ihr untergeordneten Institutionen sowie dem Amt des Staatspräsidenten die politische Allmacht zwischen Oder und Bug. 100 Prozent Macht bedeute aber auch 100 Prozent Verantwortung, so Aleksander Kwasniewski. Komorowski wird Ministerpräsident Tusk in der Gesetzgebung nicht widersprechen, es wird Harmonie herrschen. Ein Veto des Staatsoberhauptes muss die Regierung nicht befürchten. Bedenkt man, was der PO-Kandidat im Wahlkampf im Namen seiner Partei alles versprochen hat, stehen auf dem Weg der angekündigten »Reformierung« Polens nun so manche Hürden. Ob der Koalitionspartner PSL-Bauernpartei von Waldemar Pawlak das alles mitmacht, ist nicht sicher.
Der Chef der PO-Parlamentsfraktion Grzegorz Schetyna kündigte schon am Montag an, die Regierung werde bald einen Plan für die kommenden eineinhalb Jahre vorlegen. Er nannte Reformen des Gesundheitswesens und des Rentensystems sowie die Konsolidierung der Finanzen als Hauptziele. Ein besonders heikler Punkt ist dabei die angesagte Reform der Sozialversicherung der Landwirte. Es scheint durchaus möglich, dass die »Bauern« – wie schon geschehen – eher früher als später noch vor der Parlamentswahl abspringen, sollte es eng und politisch nützlich sein. Für 500 Tage ruhigen Regierens jedenfalls gibt es auch nach diesem Wahlsonntag keine Garantie.
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