Selektionsdruck

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 2 Min.

Dem Wort Selektion hängt im Deutschen ein übler Geruch an. Verband sich doch damit an der Rampe von Auschwitz der Weg in die Gaskammern für die »unbrauchbaren« Häftlinge. Deshalb wurde das Wort auch frühzeitig zum Kampfbegriff in der Auseinandersetzung um medizinische Gentests. Das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH), demzufolge eine Auswahl von mit künstlicher Befruchtung erzeugten Embryonen vor dem Einpflanzen in die Gebärmutter nach genetischen Kriterien zulässig ist, dürfte diese Debatte wieder beflügeln. Dabei haben die Leipziger Richter nur die Inkonsequenz des Gesetzgebers klar benannt: Während der Embryo im Reagenzglas laut Embryonenschutzgesetz quasi sakrosankt ist, darf eine Schwangerschaft bei diagnostiziertem Risiko schwerwiegender Erkrankungen des werdenden Kindes ungestraft abgebrochen werden. Mediziner wiesen schon lange darauf hin, dass ein solcher Abbruch riskanter sei als eine Auswahl der Embryonen vor dem Einpflanzen. Dieser Einschätzung folgt das Gericht nun und akzeptiert damit, dass die Embryonen mit bekanntem Gendefekt absterben.

Den Einstieg in die von manchen Kritikern befürchtete genetische Optimierung des Menschen bedeutet das Leipziger Urteil gewiss nicht. Denn ausdrücklich wird die Vorauswahl auf »schwerwiegende genetische Schäden« beschränkt. Und die von Behindertenverbänden auf Grund solcher Gentests befürchtete Stigmatisierung Behinderter hat ihre Ursache ja keineswegs in der medizinischen Diagnostik, sondern in einem verkorksten gesellschaftlichen Klima, das Behinderte in Sonderschulen und Werkstätten abschiebt.

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