Solidarität im Tiefkühlschrank
Arbeitgeberanteil für Krankenkassen wird eingefroren / Beitragszahler sollen System sanieren
Gerecht, solidarisch, treffsicher und solide – der Bundesgesundheitsminister lobt das Ergebnis der Koalitionsgespräche über die zukünftige Ausgestaltung des Gesundheitssystems am gestrigen Nachmittag vor der Bundespressekonferenz. Selbstsicher schildert er die Einigung der Regierungsparteien auf finanzielle Ausbesserungen, die ein Defizit von elf Milliarden Euro für 2011 gerade einmal abwenden können. Einsparungen bei Kassen, Krankenhäusern, Ärzten und Arzneimitteln sowie die Erhöhung des Arbeitgeberanteils am einheitlichen Krankenversicherungsbeitrag auf 7,3 Prozent sind der eine Teil dieser Vereinbarung. Den anderen tragen vor allem die Versicherten. Ihre Zusatzbeiträge werden »weiterentwickelt«, wie es euphemistisch umschrieben wird. Im Klartext: Sie können in beliebiger Höhe eingefordert werden, je nachdem, wie es um die finanzielle Lage der Krankenkasse bestellt ist. Ein Ausgleich für Geringverdiener soll über das Steuersystem erfolgen. Wie das bei Beziehern von Arbeitslosengeld II geregelt werden soll, ist noch unklar. »Es ist das, was wir immer gefordert haben«, so Röslers Fazit, ohne das Wort Kopfpauschale in den Mund nehmen zu müssen.
Die Opposition sowie die Gewerkschaften und Sozialverbände kritisierten das Modell als einseitige Belastung der Arbeitnehmer. So ist für den Präsidenten des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer, klar, wohin die Reise geht: »Damit werden die Weichen in Richtung Kopfpauschale gestellt. Insbesondere Geringverdiener und Rentner geraten dabei unter die Räder, denn sie sind die großen Verlierer, wenn die Zusatzbeiträge künftig ungebremst steigen. Für die Rentnerinnen und Rentner, die auch im kommenden Jahr mit einer Nullrunde rechnen müssen, bedeutet dies weitere Kaufkraftverluste und eine reale Minusrunde. Einem Rentner mit 800 Euro im Monat fehlen bei einem monatlichen Zusatzbeitrag von zwei Prozent 220 Euro im Jahr.«
Politik für Bestverdienende und Arbeitgeber nennt Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der LINKEN-Bundestagsfraktion, das Regierungskonzept. »Das Gesundheitssystem wird endgültig zum Gesundheitsmarkt«, so Bunge weiter. Damit sei die Kopfpauschale eingeführt. Für DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach ist das schwarz-gelbe Modell eine Kampfansage an die 70 Millionen versicherten Bürgerinnen und Bürger. Es sei absolut inakzeptabel, dass ausschließlich sie alle Kostensteigerungen mit nach oben offenen Kopfpauschalen zahlen müssten. Mit einem solchen Modell drohe eine unverantwortliche Belastungswelle für die Bürgerinnen und Bürger, die jede Form der Solidarität sprengt.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte das Ergebnis enttäuschend und einen Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Die Anhebung des Beitragssatzes verteuere die Arbeitskosten für die Wirtschaft »um mehr als zwei Milliarden Euro und gefährdet die Fortsetzung der derzeitigen wirtschaftlichen Erholung«.
Nach der Sommerpause will das Gesundheitsministerium gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen einen Gesetzentwurf auf der Basis der Einigung vorlegen. Seite 16
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