Öffentliches Interesse ist doch gegeben
Blockadehaltung. Wie die Staatsanwaltschaft Dresden Frau P. und Genossen behandelt
Frau P. hat gegen das Versammlungsgesetz verstoßen. Ihr wurde zur Last gelegt, »sich am 13.02.2010 mit weiteren mehreren tausend Personen an der Blockade des genehmigten Aufzuges der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) auf der Hansa-straße in Dresden ca. 200 Meter hinter dem Bahnhof Dresden-Neustadt beteiligt zu haben«.
Lassen wir mal die konkreten Umstände beiseite, die unter anderem belegen würden, dass die zum Schutz der Nazidemo eingesetzten Polizeikräfte ein solches Chaos verursacht haben, dass Frau P. und ihre Begleiter weder vor noch zurück konnten. Die Nötigung »gemäß § 240 StGB« der Frau P. war also quasi zu einem Gutteil »staatsmachtsgemacht«.
Einerlei. Tatsache ist: Das Ermittlungsverfahren gegen Frau P. wurde eingestellt. Denn: »Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ist nicht gegeben.« Denn: »Die Schuld wäre als gering anzusehen.«
Und was ist mit den erkannten Verstößen gegen Paragraf 21 Versammlungsgesetz, der die »Sprengung einer Versammlung betrifft? Auch in dem Fall fehlt ein »öffentliches Interesse an der Strafverfolgung«. Abermals ist die »Schuld der Beschuldigten« als »gering anzusehen«. Zudem sind keine Umstände erkennbar, wonach die Beschuldigte die Blockade »maßgeblich mitinitiiert hätte«.
Was ist los, ist die Staatsanwaltschaft Dresden von »Antifas« durchsetzt? Arbeiten hier in den obersten Etagen – immerhin wurde der Einstellungsbeschluss von einem Oberstaatsanwalt unterzeichnet – lauter linke Sympathisanten?
Kaum. Denn wäre das so, hätte es auch ein einseitiges Schreiben getan, in dem es geheißen hätte: Glückwunsch! Den Nazis haben wir es gegeben, mit solidarischen Grüßen ... weiter so ..., gez. ... Nein, die Staatsanwaltschaft Dresden analysiert auf sechs Seiten die »Strafrechtssprechung zum Gewaltbegriff«, sie zitiert umfangreich für Normalbürger unverständliche Urteil-Begründungstexte des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. Januar 1995, das dem gewaltlosen Widerstand gewaltsame Grenzen setzt. Beispielsweise, wenn »das ›Sich-Hinsetzen‹ oder das ›Sich-auf-die-Fahrbahn-begeben‹ den Anforderungen an den Gewaltbegriff genügen kann, wenn seine Auswirkungen den Bereich des rein Psychischen verlassen und (auch) physisch wirkend sich als körperlicher Zwang darstellen (BGHSt 41, 185)«.
Alles begriffen? Nein? Na gut, dann noch ein wenig mehr vom Unerklärlichen. Da gibt es zum Beispiel den Herrn R. aus Thüringen. Und den Herrn H. aus Sachsen sowie die Frau W. und den Herr O. aus Hessen. Auch denen kommt die Dresdner Staatsanwaltschaft mit einem Ermittlungsverfahren – jedoch nicht mit Verständnis für ihre antifaschistische Aktivität entgegen. Sie sollen – im Gegensatz zu Frau P. – vor den Kadi, um ihren Widerstand gegen die Nazis zu bereuen und – strafbedroht – »Besserung« zu geloben.
Die Staatsanwaltschaft Dresden ist drauf und dran, Recht und Gesetz nach Zweckmäßigkeit auszulegen und dabei den Nazis in die Hände zu arbeiten. Das ist weder mit Frau P. – sie heißt mit vollständigen Namen Petra Pau, ist Linkspolitikerin und Vizepräsidentin des Bundestages – noch mit den beschuldigten Fraktionschefs der Linkspartei Bodo Ramelow (Erfurt), André Hahn (Dresden) sowie mit Janine Wissler und Willi van Oyen (Wiesbaden) zu machen.
Ihr – auch juristischer – Widerstand gegen die Entscheidungen der sächsischen Strafverfolger ist im Interesse weniger prominenter Demonstranten. Die fordern gleichfalls, dass gewaltloser Widerstand gegen Naziaufmärsche und andere demokratische Aktionen nicht länger willkürlich »per Gesetz« diskreditiert werden dürfen.
Doch nicht nur Demonstranten fordern Klarheit. Auch von Seiten der Polizei in Bund und Ländern wird diese Forderung erhoben. Denn derzeit entscheidet jeder Polizeiführer vor Ort, wann er ein Einschreiten gegen Sitzblockaden und ähnliche gewaltfreie Aktionen für notwendig und gesetzlich begründet hält.
In Gera wird sich beim Nazi-Rock am Wochenende abermals erweisen, ob Polizei und Justiz Protest kriminalisieren wollen. Die Nazis jubeln schon jetzt, wollen ein Zeichen ihrer Stärke setzen und tönen: »Deutschland lässt sich nicht blockieren.«
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