Siemens-Züge für Moskau

Deutsche Unternehmen profitieren vom Merkel-Besuch in Russland

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Bundeskanzlerin Merkel befindet sich gerade auf wirtschaftspolitischer Weltreise. Am Mittwoch traf sie sich mit dem russischen Präsidenten Medwedjew – Hauptthema waren bilaterale Geschäftsbeziehungen. Im Schlepptau Merkels: deutsche Großkonzerne.

Beobachter fühlten sich bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen am Mittwoch in Jekaterinburg ein bisschen an die Ära Schröder-Putin erinnert. Um Politik ging es nur unter ferner liefen, Heikles wie Moskaus Menschenrechtsdefizite sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegenüber Präsident Dmitri Medwedjew offenbar nur unter vier Augen an. Denn der will seine Modernisierungspläne vor allem mit Hilfe deutscher Unternehmen realisieren. Ein Angebot, dem die einstige »DDR-Dissidentin«, wie es in einem Kommentar der Nachrichtenagentur RIA nowosti heißt, allein schon aus innenpolitischen Erwägungen nicht widerstehen könne. Das Umfragetief der regierenden Koalition würde die Bundeskanzlerin dazu drängen, mit Moskau wieder enger zu kooperieren, so die Einschätzung. Zu gegenseitigem Nutzen, weil die Modernisierung Russlands auch die Nachfrage nach Hightech »Made in Germany« ankurbeln werde.

Merkel sieht das offenbar ähnlich, nebst einem Dutzend Fachministern hatte sie daher auch die Chefs von Volkswagen, Siemens, Airbus, des Chemiegiganten BASF, des Handelskonzerns Metro und der Commerzbank in ihrem Tross. Hiesige Experten sprachen von Merkels »langem Marsch nach Osten«. Zu Recht: Auch in China, wohin die Kanzlerin später von Jekaterinburg jettete, will sie vor allem Aufträge für die deutsche Wirtschaft an Land ziehen. Und in Kasachstan, wo sie anschließend erwartet wird, über Garantien für den Zugriff auf Energieträger wie Öl und Gas zu angemessenen Preisen verhandeln.

Fast 500 Deutsche waren im Merkelschen Gefolge am Mittwoch in die Hauptstadt des Ural gekommen – ein voller Erfolg für die Kanzlerin. Es waren insgesamt zehn Kooperationsabkommen, die deutsche und russische Konzerne am Rande des Gipfels unterzeichneten. Allen voran Siemens. Das Unternehmen will in das Skolkowo-Projekt – dem russischen Silicon-Valley, wo hinter dem Moskauer Autobahnring Lehre, Forschung und Hightechunternehmen vernetzt werden sollen – mit millionenschweren Investitionen einsteigen. Dazu kommt ein Abkommen mit den Russischen Staatsbahnen von ähnlicher Dimension: Diese orderten bei Siemens 240 Regionalzüge im Wert von 2,2 Milliarden Euro. Ab 2011 wird Russland zudem Züge des Typs Desiro bekommen, die in Moskau und anderen Städten als Flughafenzubringer eingesetzt werden. Siemens-Züge werden auch wichtigstes Bahnverkehrsmittel bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi sein. Auch die »Sapsan«Hochgeschwindigkeitszüge, die seit Dezember zwischen Moskau und Sankt Petersburg verkehren, rollten bei Siemens vom Band. Die Firma wird gemeinsam mit der Sinara-Gruppe zudem über 200 Güterzüge nach Russland liefern

Im Interesse der Wirtschaft konnte Merkel sich sogar für Moskaus Forderungen nach Visafreiheit erwärmen und versprach Medwedjew Unterstützung. Einen Vertragsentwurf dazu hatte dieser schon beim letzten Russland-EU-Gipfel Ende Mai in Rostow am Don übergeben. Guten Willen vorausgesetzt, so der Kremlchef gestern, könne Europa die dazu nötigen Beschlüsse schnell fassen. Merkel dagegen drängte auf mehr Tempo beim Bau der Ostseepipeline Nordstream, die 2011 ans Netz gehen soll. Denn damit entfällt der Gastransit über Weißrussland und die Ukraine. Deren Differenzen mit Moskau hatten schon zu Unterbrechung der Lieferungen und damit zu Versorgungsengpässen in Europa geführt.

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