Barroso sieht Gefahr im Süden

EU-Kommissionschef warnt vor Folgen sozialer Proteste

  • Harald Neuber
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Führung der Europäischen Union schließt vor dem Hintergrund der Krise offenbar ein Ende der parlamentarischen Demokratien in mehreren südeuropäischen Staaten nicht aus.

Von der deutschen Presse weitgehend unbeachtet, berichteten englisch- und spanischsprachige Medien unlängst über ein Treffen des Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, mit Gewerkschaftsführern. Bei der Zusammenkunft im Juni, bei dem es unter anderem um Griechenland, Portugal und Spanien ging, habe der ehemalige portugiesische Ministerpräsident die Gewerkschaftsvertreter davor gewarnt, »dass diese Länder in ihrer demokratischen Gestaltung, wie wir sie derzeit kennen, verschwinden könnten«.

Die Gewerkschaftsvertreter seien von den drastischen Formulierungen des Präsidenten der EU-Kommission schockiert gewesen, schrieb der britische Journalist Jason Groves später in der Tageszeitung »Daily Mail«. Laut Groves seien von Barroso mehrere Möglichkeiten für das Ende der Demokratie genannt worden, darunter Militärputsche und Umstürze.

Das Treffen fand vor dem Hintergrund der schweren Wirtschaftskrise in Südeuropa statt. Nicht nur Griechenland, sondern auch Spanien und Portugal sind vom Zusammenbruch der Nationalökonomie bedroht. Die sozialdemokratische Führung in Madrid bittet daher um EU-Hilfsgelder aus dem »Rettungsfonds« der Union, der 750 Milliarden Euro umfasst. Milliardenhilfen waren vor Wochen bereits Griechenland gewährt worden. Gewerkschaften und soziale Bewegungen in den betroffenen Staaten mobilisieren dennoch, um gegen die schwerwiegenden sozialen Auswirkungen der verschärften Kürzungspolitik zu protestieren. In Griechenland forderten diese Konflikte bereits Tote und Verletzte.

Die Warnung Barrosos sorgte in diesen Staaten auch für Aufsehen, weil das bürgerlich-demokratische System sowohl in Spanien als auch in Griechenland und Portugal eine relativ kurze Tradition hat. Spanien war von 1936 bis 1975 eine faschistische Diktatur, in Griechenland herrschte von 1967 bis 1975 eine Militärdiktatur und Portugal stand von 1932 bis 1974 unter diktatorischer Herrschaft.

Der Brite John Monks, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, zeigte sich auch deswegen erschüttert von der Einschätzung Barrosos. In einem Interview mit dem Brüsseler »EU Observer« verglich er die derzeitige Lage in den von der Krise am stärksten betroffenen Staaten mit der Situation in den 30er Jahren. Auch die Große Depression damals habe zu Militärdiktaturen geführt, sagte Monks: »Ich sage nicht, dass wir schon wieder so weit sind, aber potenziell gibt es eine sehr große Gefahr – nicht nur wirtschaftlich, sondern eben auch politisch.«

Linksgerichtete Analytiker und Vertreter sozialer Bewegungen interpretierten die Aussagen Barrosos indes als Drohung, um eine Zuspitzung sozialer Gegenwehr gegen die Auswirkungen der neoliberalen Politik innerhalb der EU zu vermeiden. Angesichts der Aussagen des Portugiesen ergebe auch die plötzliche strikte Sparpolitik des spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero Sinn, heißt es auf der Spanien-Seite des globalisierungskritischen Netzwerks Attac: Ihm sei offenbar klar, dass »die Märkte« ihre Interessen – wenn nötig – auf der Spitze der Bajonette verteidigen. Auch der deutsch-mexikanische Soziologe und Verfechter eines »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, Heinz Dieterich, versteht die Stellungnahme als Warnung des EU-Vormanns. »Mit anderen Worten: Die europäische Bourgeoisie stellt der Arbeiter- und Basisbewegung ein Ultimatum: Zahlt unterwürfig die Kosten der vom Kapital verursachten Krise, oder wir zwingen euch mit militärischen Mitteln dazu.« Dass dies auch in der bürgerlichen Demokratie möglich ist, hält Dieterich angesichts der Krise 1968 in Frankreich für möglich. Auf dem Höhepunkt der revolutionären Protestbewegung hatte die politische Führung unter dem Präsidenten und General Charles de Gaulle – was wenig bekannt ist – Panzer gen Paris mobilisiert.

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