Nach dem Wehr kommt das Flachwasser
Umweltschützer aus Deutschland und Tschechien fordern, Staustufen-Pläne für die Elbe aufzugeben
Als die »Poseidon« am kleinen Ort Prostredni Zleb vorbeifährt, ist die Idylle fast perfekt: Sandsteinwände türmen sich direkt neben der Elbe auf, Weiden lassen ihre silbrig belaubten Äste in das träge fließende Wasser hängen. Das Ausflugsschiff passiert den Flusskilometer 98,8; die in Decin eingestiegenen Touristen zücken die Kameras und staunen. Werner Hentschel allerdings dämpft die erhabene Stimmung im Angesicht landschaftlicher Schönheit: »Hier«, sagt der frühere Leiter des tschechischen Landschaftschutzgebiets Elbsandsteingebirge, »soll die Staustufe stehen«: Tausende Kubikmeter an Stein und Beton, die den Flusslauf abriegeln.
Hentschel hält nichts von den Plänen: »Ökonomischer und ökologischer Unsinn«, wettert er. Ein Fluss sei ein Fluss, wenn er fließt, fügt er hinzu: »Sonst ist er tot.« 40 Fischarten seien heute in der Elbe heimisch. Wird die Staustufe gebaut, verschwänden zwei Drittel.
Hentschels Behauptungen lassen sich entlang der Labe, wie die Elbe in Tschechien heißt, gut überprüfen. Zwar gilt der Fluss, der auf einer Länge von 600 Kilometern fast ungehindert fließt, als einer der letzten frei fließenden Ströme in Mitteleuropa. In Tschechien jedoch ist er zwischen Vrchlabi am Riesengebirge sowie Usti nad Labem ein stehendes Gewässer, seit in den 30er Jahren 20 Staustufen errichtet wurden. Lachse und andere Stromfische verschwanden; die Artenvielfalt ist enorm reduziert.
Dennoch sollen im Elbsandsteingebirge unterhalb Decin sowie im Böhmischen Mittelgebirge bei Litomerice für 5,2 Milliarden Kronen (rund 208 Millionen Euro) weitere Staustufen gebaut werden. Ziel ist es, die Bedingungen für die Schifffahrt zu verbessern, die seit Jahren große Mühe hat, sich gegen andere Verkehrsmittel zu behaupten. Gingen Prognosen in den 90er Jahren noch von einer Verdreifachung der Fracht aus, hat sich diese tatsächlich auf zuletzt weniger als eine Million Tonnen halbiert, sagt Hubert Weiger, Vorsitzender der Naturschutzorganisation BUND.
Die Staustufen würden das freilich kaum ändern, fügt der BUND-Vorsitzende hinzu. Grund ist die fehlende Regulierung des Flusses in Deutschland. Trotz der von Naturschützern kritisierten Baumaßnahmen an Buhnen und Uferbefestigungen wird an vielen Tagen die erforderliche Wassertiefe von 1,60 Metern unterschritten – 122 waren es im Schnitt der letzten zehn Jahre zwischen tschechischer Grenze und Dresden. Weiger zufolge werden die Niedrigwasser-Phasen zunehmen, weil es an der Elbe immer weniger regnet. Tschechische Binnenschiffer würden mit den neuen Staustufen näher an die Grenze herankommen. Bis Hamburg ist es aber immer noch weit. »Was nützen zwei neue Staustufen in Tschechien«, sagt Hentschel, »wenn 24 in Deutschland fehlen?!«
Die werden freilich nie gebaut: In der deutschen Politik »gibt es keine Akzeptanz mehr für Staumaßnahmen an der Elbe«, sagt Weiger. Gemeinsam mit tschechischen Naturschützern wie Hentschel oder Jana Vitnerova von der seit 1997 mit dem Thema befassten Organisation Arnika appelliert er daher an die neue Prager Regierung, die Baupläne fallen zu lassen. Die auf der Elbe transportierten Güter, so haben Anfragen bei der deutschen und der tschechischen Bahn ergeben, könnten problemlos auf der Schiene befördert werden: »Es handelt sich«, so Weiger, »um drei Züge am Tag.«
Die neue bürgerliche Regierung unter Petr Necas hat sich noch nicht dazu geäußert. Seine Partei, die konservative ODS, stand den Baumaßnahmen aber aufgeschlossen gegenüber. Hentschel zitiert auch einen Deciner Abgeordneten der oppositionellen Sozialdemokraten, der die Staustufen befürwortet. Diese seien eine »Hungermauer«, mit der sich in Krisenzeiten Arbeitsplätze schaffen ließen.
Mit ähnlichen Argumenten werden in Tschechien oft Naturschutzvorhaben abgebügelt, sagt Arnika-Aktivistin Jana Vitnerova: »Oft dauert es Jahre, bis Schutzgebiete ausgewiesen werden.« Auch der Elbe-Canon, also das malerische Flusstal in Nordböhmen, sei erst jüngst unter Schutz gestellt worden. Der eigentliche Fluss »wurde aber ausgenommen«.
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