Notizen aus Venedig

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Kürzlich wurde moniert, in meinen bisherigen Notizen aus Venedig sei zu viel von Geld die Rede und zu wenig von Kultur. Das stimmt. Also zur Kultur: Vor einigen Tagen sang Charles Aznavour auf dem Markusplatz. Nicht einfach so, sondern in einem richtigen Konzert mit Bühne und Orchester. Zu diesem Zweck wurden mehrere großen Tracks mit Bühnentechnik auf schwimmenden Pontons über die Lagune gezogen, denn Venedig ist bekanntlich nicht nur PKW-, sondern auch LKWfrei. Erstaunlich, wieviel Technik ein Chansonnier braucht, der doch schon sehr deutlich über achtzig ist, oder gerade deswegen. Ich wollte auch hingehen, obwohl das letzte Konzert, das der singende Armenier aus Paris in Berlin gab, etwas an Unterkühlung litt. Das riesige Internationale Kongresszentrum war ausverkauft und Aznavour ließ zudem ankündigen, beim ersten Blitzlicht, dem Hauch von Zigarettenrauch oder Klatschen an der falschen Stelle, das Konzert sofort abzubrechen. Dann musste er doch bis zum Ende singen, weil das Publikum so eingeschüchtert war, dass sich keiner traute zu blitzlichten oder zu rauchen. Zu klatschen allerdings auch kaum.

Auf dem Markusplatz waren es an diesem Abend geschätzte 40 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von bald 100 Prozent. Leider kostete die billigste Karte 185 Euro und da ich mir nicht sicher war, ob ich diese später meiner Zeitung in Rechnung würde stellen können, legte ich mich lieber auf mein Bett vors offene Fenster und wartete auf den Hitzschlag. Nebenbei horchte ich über die Dächer Richtung Markusplatz, was von dort zu hören sei. Nichts. Entweder weil der Schirokko aus der falschen Richtung blies und die Töne Richtung Lido trug, oder weil auch Aznavour auf seinem Bett lag und auf den Hitzschlag wartete.

Seltsam, man kommt in dieser Stadt um

das Thema Geld keinen Augenblick herum.

Es gehört sozusagen zum Geist des Ortes, denn Venedigs Kultur ist ja vor allem ein Resultat schamlosen Raubes. So ist die Markuskirche anfänglich gar nicht die Kirche des Heiligen Markus gewesen, sondern die des Heiligen Theodor. Aber wer kennt den schon, sagten sich die Venezianer und schauten sich um, ob sie nicht einen bekannteren Namenspatron für ihr monströses Bauwerk finden könnten. Sie wurden fündig, in Alexandria, am Grabe des Heiligen Markus. Sie stahlen die Gebeine und transportierten sie unter einer Ladung gepökelten Schweinefleisches verborgen nach Venedig. Das war im Jahre 829 und seitdem weiß man: das Image ihrer Stadt aufzubessern, scheuen die Venezianer vor fast nichts zurück. Und statt des Krokodils des Heiligen Theodor hat Venedig nun den stolzen Löwen des Heiligen Markus zum Wahrzeichen.

Eigentlich müsste eine auf Schlammgrund gebaute Stadt vor allem die Sorge haben, darin zu versinken. Aber hier haben sie eine ganz andere Angst: Feuer. Im Moment werden gerade an jede Kanalecke Hydranten gebaut. Die ganze Stadt ist nun gepflastert mit diesen nagelneuen roten Hydranten, die ihr Wasser im Bedarfsfall gewiss aus dem hinter ihnen liegenden Kanal beziehen. Als das Teatro Gran Fenice zum wiederholten Mal in seiner Geschichte abbrannte, beschloss die Stadt ein Feuerschutzprogramm. Es war wie immer, wenn hier etwas beschlossen wird: leicht unverhältnismäßig. Wenn man heute ins Fenice geht – und das sollte man tun, denn von einer Karte für Charles Aznavour kann man sich hier achtzehneinhalb preiswerte Karten für den obersten Rang kaufen, zumal klimatisiert – dann steht praktisch immer ein Feuerwehr

mann neben einem. Manchmal patrouillieren ganze Hundertschaften in voller Montur

und schweren Stiefeln durch die Ränge, so dass man von der Musik unten nichts mehr

versteht. Kürzlich saß ich dann aber auf einem der teuersten Plätze ganz vorn unter lauter kulturtragenden Venezianern, die sich alle kannten und darum auch viel zu erzählen hatten. (Die Karte hatte mir meine Vermieterin unter der Tür hindurchgeschoben.) Auch vorn verstand man dann fast nichts von der Musik. Und ich dachte daran, wie rigide Toscanini war, als er vor mehr als hundert Jahren die Mailänder Scala übernahm. Wenn sich das Publikum unterhielt, hörte er auf zu spielen. So einfach. Wahrscheinlich hat sich Aznavour da einiges von dem preußischen Italiener abgeschaut.

Merkwürdig ist der etwas abgeleitete Musikgeschmack: jedes Mal wenn ich hier bin, spielen sie etwas von Richard Strauss, der es nicht ganz geschafft hat ein Wagner zu werden , diesmal »Tod und Verklärung« und etwas von Brahms, der auch nur fast ein Beethoven geworden ist.

Man hat hier einen feinen Sinne entwickelt für jeden Anflug von Kopie im Original. Das trifft den Nerv der echten Venezianer. Denn äußerlich hat sich die Stadt in den letzten hunderten von Jahren fast nicht verändert, aber darin liegt gerade das Problem. Das Fenice etwa ist schon mindestens der dritte Neuaufbau und als Hermann Hesse, der 1901 noch auf den Campanile gestiegen war, ein Jahr später wieder hierher kam, war er erschüttert: der ganze große Turm weg, eingestürzt und eine hässliche Lücke klaffte auf dem Markusplatz. Einige Jahre später war der Turm wieder da, neu gebaut – aber nur eine Kopie des Originals. Und so, zwischen Original und Kopie, steckt Venedig nun in der Falle.

(Fortsetzung folgt)

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