Lernen vom Verfassungsschutz

Der Geheimdienst erweitert seine Aufgaben zur politischen Meinungsbildungsagentur

  • Hartmut Rübner
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Streit um die Observierung der Linkspartei hat den Verfassungsschutz (VS) wieder einmal in die Diskussion gebracht. Zwar möchte sich dieser lieber als effektive Dienstleistungsbehörde darstellen, doch haben zahlreiche Skandale den Ruf der Ämter nachhaltig beschädigt. Die oft fragwürdigen Vorgänge im operativen Bereich lassen auch das zweite Handlungsfeld des Nachrichtendienstes, die im politischen Vorfeld ansetzende Öffentlichkeitsarbeit, zwielichtig erscheinen. Zur Imagepflege wurde deshalb ein PR-Fachverband eingespannt. Nun haben einige Führungspersonen aus verschiedenen VS-Ämtern zusammen mit einem Journalisten eine Selbstdarstellung verfasst, die den »offenen Demokratieschutz« des VS als Erfolgsgeschichte anpreist.

»Offen« an der Arbeit des Geheimdienstes sind seine Bildungsveranstaltungen, mit denen er seit einigen Jahren vor allem die als besonders extremismusgefährdet geltende Zielgruppe der Schüler erreichen will. »Demokratie-Lotsen«, »Andi«-Comics (Auflage Ende 2009: 785.000), gruppendynamische Planspiele und Jugendkongresse mit halbwegs prominenten »Sympathieträgern« sollen zu einer »subversiven Verunsicherung« jugendlicher Extremisten beitragen. Der Nachrichtendienst hat die politische Bildung als Aufgabe für sich entdeckt. Eine wohl einzigartige Ausdehnung nachrichtendienstlicher Befugnisse.

Stephan Walter, Leiter der Extremismus-Informationsstelle des niedersächsischen VS, erklärt in seinem Beitrag, man habe sich »in der politischen Bildung einen gesicherten Platz erobert«. Das trifft vollkommen zu: Ende 2004 ließ die Regierung dort kurzerhand die Landeszentrale für politische Bildung schließen, um deren Aufgaben dem VS zu übertragen. Nach Einschätzung der Verfassungsschutzämter fehlt es den herkömmlichen Institutionen der politischen Bildung an Kompetenz. Im Unterschied zu anderen Bildungsträgern möchte der VS seine aus der verdeckten Beobachtungspraxis gewonnenen Erkenntnisse als authentisches Informationsmaterial empfehlen. Essentials bleiben freilich tabu.

Zwar definieren die Ämter ihr »Kerngeschäft« nach wie vor als eine »Trias aus Beschaffung, Auswertung und Weitergabe von Informationen über Feinde der Demokratie«, doch möchten sie dazu auch als breitenwirksame »Wissensvermittler« auftreten, wie es in dem Buch heißt. Seit Mitte der 1990er Jahre werden dafür sozialwissenschaftlich ausgebildete Mitarbeiter eingestellt. In Zusammenarbeit mit Hochschulen entstehen Bildungskonzepte mitsamt didaktischem Begleitmaterial, bevorzugt fortgebildet werden Multiplikatoren wie Schulleiter und Lehrer. Zudem werden ausgesuchte Wissenschaftler und Journalisten in »Hintergrundgespräche« einbezogen.

Über die Charakterisierung der Ämter herrscht derweil Unklarheit. Das Bundesamt will weiter als »nationaler Inlandsgeheimdienst« firmieren, in Niedersachsen möchte sich der VS dagegen überhaupt nicht mehr als Geheimdienst verstanden wissen, obwohl man nach wie vor als solcher operiert. Die Dienste sind zu breitenwirksamen Meinungsbildungsagenturen mutiert, die sich aktiv in linke Debatten um Hartz IV, Weltfinanzkrise und Umweltzerstörung einschalten, um Nichtregierungsorganisationen »gegen extremistische Beeinflussungen« zu »immunisieren«. Präventiver Demokratieschutz ist das aus Sicht des VS. Sein gesetzlicher Auftrag in puncto Öffentlichkeitsarbeit beinhaltet lediglich eine jährliche Berichtspflicht, pädagogische Konzepte sind nicht vorgesehen. Doch Winfriede Schreiber, VS-Leiterin in Brandenburg, »stellt sich nicht die Frage, ob wir diese Aufgaben haben, sondern nur, wie wir diese Aufgaben immer wirksamer erfüllen.«

Thomas Grumke/Armin Pfahl-Traugher (Hg.): Offener Demokratieschutz in einer offenen Gesellschaft. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention als Instrumente des Verfassungsschutzes. Verlag Barbara Budrich 2010, 172 Seiten, 24,90 Euro.

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