Vom Elend des Kalaharisalzes

Hartz-IV-Kochbücher werfen ein Schlaglicht auf einen bizarren Armen-Messianismus

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 6 Min.
Bei rund 4,20 pro Tag ist Schmalhans Küchenmeister – da helfen auch Hartz-IV-Kochbücher nicht wirklich weiter.
Bei rund 4,20 pro Tag ist Schmalhans Küchenmeister – da helfen auch Hartz-IV-Kochbücher nicht wirklich weiter.

Deutschland kann manchmal sehr seltsam sein. So ist es wohl das einzige Land, dessen umwälzendste Sozialgesetzgebung nach einem Straftäter benannt ist. Bekanntlich wurde Peter Hartz wegen Untreue rechtskräftig verurteilt. Und wahrscheinlich ist Deutschland auch das einzige Land dieser Erde, in dem Kochbücher zu Sozialgesetzen geschrieben werden.

Es ist ein groteskes Kapitel und eine sozialpsychologisch höchst interessante Erscheinung, dass meist biedere Bürger sich dazu hingezogen fühlen, den Armen zu erklären, wie schmack- und nahrhaft man sich mit ein paar Euro am Tag ernähren kann. Sie tun dies meist in Verlagen, in denen man für die Veröffentlichung zahlen muss und mittlerweile existiert eine ganze Reihe dieser seltsamen Armuts-Kochbücher. Sie ähneln damit den Rechenbeispielen des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD). Der hatte seine Behörde ausrechnen lassen, wie gut es sich doch mit dem Hartz-IV-Regelsatz von 4,25 Euro pro Tag für Lebensmittel auskommen lässt (Mittagessen: Bratwurst für 38 Cent, 150 Gramm Sauerkraut für 12 Cent und Kartoffelbrei für 25 Cent plus Gewürze und Öl für 20 Cent).

»Großes Essvergnügen mit kleinem Budget«

Fangen wir ganz unten an. »Schmackhaft kochen mit Hartz IV« nennt sich ein hochstapelndes Produkt von Werner Trinks, das für 8,90 Euro eine unglaublich banale Aufzählung von Küchengeräten (Fleischwolf, Mixer usw.), Kräutern (Petersilie, Rosemarin, Salbei ...) oder Suppen (beispielsweise Gemüsesuppe und Rahmsuppe, ...) bietet, dazwischen ein paar Gerichte (Geflügelleber mit Waldpilzen) einstreut. Im Vorwort meint der Autor: »Jeder, der heute Hartz IV bezieht, hat bestimmt schon bessere Tage in seinem Leben erlebt« und verspricht: »Dies ist kein Kochbuch für den verwöhnten Gaumen, denn Trüffel kann sich ein Hartz-IV-Empfänger nicht leisten.«

Warum sich in diesen Aufzählungen bei »Das Salz« dann aber das Meersalz Fleur de Sel (»handgeschöpft«, »Das Kilo kostet um die 100 Euro«), das Kalaharisalz (»Kommt aus der Wüste Kalahari, wird in der Gourmetküche verwendet und ist auch sehr teuer«) oder das Mauisalz (»Kommt von der Hawaiinsel Maui und ist genau so teuer«) findet, bleibt unerklärt. Ähnliches findet sich in der Öl-Rubrik: »Eins der hochwertigsten Öle ist das Trüffelöl.« Am Anfang seiner Aufzählungen hat der Autor etliche Fragen aufgelistet: »Wo wohne ich?« – »Habe ich eine Gefriertruhe?« – »Was brauche ich?« Es fehlt freilich die entscheidende Frage: Wer bin ich und wozu in aller Welt soll dieses merkwürdige Büchlein eigentlich gut sein?

Die Antwort von Sylvia Wenig-Karasch darauf ist, »sich und seinen Lieben auch bei kleinem Budget großes Essvergnügen gönnen«, und – man höre und staune –, das »schon für zwei Euro pro Tag und Person«. Die Broschüre mit dem vollmundigen Titel »Glücklich und satt für zwei Euro am Tag« macht einem zuerst den Mund wässrig (»Morgens am nett gedeckten Frühstückstisch sitzen, den Duft von frisch gebrühtem Tee... leckeres Brot auf dem Teller... ein gekochtes Ei... frisches Obst«), um dann eine Diät für schwer Übergewichtige zu empfehlen. Morgens zwei Scheiben Toastbrot, mittags zwei Eier mit Kartoffelbrei, abends eine Scheibe »Schwarzbrot dünn« mit Leberwurst – wer so auf Dauer Kinder, Heranwachsende oder Erwachsene ernähren will, wird wohl weder satt noch glücklich machen. Dass die Broschüre mit ihren Rezepten ausdrücklich keinen Anspruch darauf erhebt, »kulinarisch besonders erwähnenswert oder ernährungswissenschaftlich besonders ausgewogen zu sein«, muss man wohl als eine Art Rückversicherung gegenüber möglichen Schadensansprüchen verstehen.

Kommen wir zu der Rubrik »Selbstversuch«. »Hartz IV in aller Munde« nennt sich etwas keck ein Vollwert-Kochbuch, das der Frage nachgeht: »Kann man sich 31 Tage lang von dem in Hartz IV vorgesehenen Anteil von 132 Euro wirklich vollwertig-biologisch ernähren?« Die Autorin beantwortet dies mit einem »deutlichen Ja«, schweigt sich aber darüber aus, wie es am 32. Tag weitergeht. Immerhin bietet dass Buch anscheinend solide Vollwert-Rezepte vom »Birnenfrühstück« bis zum »Rotkohlauflauf mit Haferkartoffelkruste«. Freilich ist auch hier Schmalhans Küchenmeister. Mit einer Hauptmahlzeit aus Endiviensalat, Möhren und Rotkohl kann man zwar prima abnehmen, ist aber irgendwann nur noch Haut und Knochen. Unerträglich aber ist auch hier jene unbedarfte Beflissenheit, sich messianisch der Welt der Armut in einem »Versuch« für ein paar Tage zu nähern. Das erinnert an die »Selbstversuche« des Bürgertums gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als man sich für Berichte wie »Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche« oder »Dreieinhalb Monate Fabrik-Arbeiterin« als Proletarier verkleidete und in die dunkle Welt der Fabrik-Arbeiter hinabstieg, jedenfalls für ein paar Wochen. Es ist die gnadenlose Gedankenlosigkeit, die in Sätzen wie diesen aufstoßen: »Gerade in der Hartz-IV-Versuchsphase habe ich gelernt, auch den Kohl viel aufmerksamer zu betrachten.«

Ein »Selbstversuch« ist auch »Gut essen und Trinken trotz Hartz IV?« von Michael Lüpke. Das Buch bietet keine Rezepte, sondern schildert die »Erlebnisse« während eines Monats, in dem der Autor versucht, sich mit 4,25 Euro pro Tag zu ernähren. Auch hier wieder dieser seltsame masochistische Drang, sich der eigenen Bürgerlichkeit für eine kurze Zeit zu entledigen und das Schaudern angesichts von Armut am eigenen Leibe zu erleben: »So verfolgte mich monatelang die Frage, wie es denn nun sei, wenn man ständig mit dem Druck eines (zu) knappen Budgets seine täglichen Besorgungen erledigen muss ...«

Ungewollt komisch, mitunter dramatisch

Dem Autor ist zweierlei zugute zu halten. Dass er eine klare Meinung zu Hartz IV hat (»Synonym für sozialen Abstieg, Ausgegrenztsein und Perspektivlosigkeit«) und dass sein Bericht so ungewollt komisch daherkommt, dass er fast schon wieder lesbar ist: »Mein sowieso schon strammer Schritt verschärft sich nochmals, was mir aber nicht leicht fällt, denn die schweren Beutel schneiden schon merklich in die Hände«; »Ich registriere wieder einen deutlichen Schwund meiner Vorräte.« Als es ein paar Tage regnet und der Autor deshalb (!) nicht zum Supermarkt kommt, wird es gar dramatisch: »Fürs Abendessen muss ich meine zur Neige gehenden Vorräte bereits rationieren, auch in Hinblick auf das morgige Frühstück... Irgendwie macht sich eine Art Panik in meinem Kopf breit. Ich muss unbedingt an etwas anderes denken.« Das nächste Kapitel heißt dann »Dem Elend gerade noch entronnen«.

Ernst nehmen kann man all diese Produkte als ein Blitzlicht, das eine etwas bizarre Variante bürgerlicher deutscher Mentalität beleuchtet. Wenn die Bundesregierung beschließen würde, dass Arbeitslose nur noch auf einem Bein hüpfen dürfen, gäbe es wohl auch dazu ernstgemeinte »Ratgeber« und »Selbstversuche«. Im übrigen sind die Versuche, andere mit immer weniger Euros pro Tag das Überleben zu lehren, längst schon bis zum Null-Euro-Niveau erforscht. Rüdiger Nehberg hat mit seinem Buch »Überleben ums Verrecken« schon vor Jahren gezeigt, wie man sich kostenlos von Insekten und kleinen Feldmäusen ernährt.


Kochbuch mit Bodenhaftung

Ohne die peinliche Selbstversuch-Attitüde kommt das »Sparkochbuch« von Uwe Glinka und Kurt Meier aus. Anders als die meisten Autoren von Hartz-IV-Kochbüchern verfügen sie über Erfahrungen am eigenen Leib: »Wir leben von Hartz IV und können es nicht ändern. Wir sind beide 54 Jahre alt und bekommen keine Arbeit mehr. Das ist die harte Wirklichkeit, in der wir leben und klarkommen müssen«, so die beiden Autoren. Das Kochbuch kommt so auch mit Bodenhaftung daher, gibt Empfehlungen für das Mittagessen wie etwa »Saarbrücker Linsen mit Bockwurst« (2,94 Euro für zwei Personen), abends gibt es hier immerhin zwei Scheiben Graubrot. Ohne Einkauf im Discounter und ohne kulinarisches Nachkriegsniveau (Steckrübensuppe) geht es auch hier nicht.

Inzwischen gibt es das Buch zum Kochbuch (»Wir Krisenköche. Einmal Hartz IV und zurück«), doch der darin beschriebene Weg, sich kochbuchschreibend am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, ist leider die Ausnahme.

Rudolf Stumberger

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