Schostakowitsch in der Scheune

Im sächsischen Gohrisch entsteht ein Festival für den Komponisten

  • Hendrik Lasch, Gohrisch
  • Lesedauer: 6 Min.
Vor 50 Jahren verbrachte Dmitri Schostakowitsch einige Tage in Gohrisch und komponierte eines seiner bekanntesten Werke. Ein Verein erinnert daran und will in dem Kurort in der Sächsischen Schweiz nun ein hochkarätiges Festival etablieren.
Ein Verein richtet ein Festival für den Komponisten aus – Pressesprecherin Katharina Riedeberger, der musikalische Leiter Tobias Niederschlag und Mitorganisator Lutz Ryback (l., v.l.)
Ein Verein richtet ein Festival für den Komponisten aus – Pressesprecherin Katharina Riedeberger, der musikalische Leiter Tobias Niederschlag und Mitorganisator Lutz Ryback (l., v.l.)

Die Scheune am Ortsrand von Gohrisch ist leer, und obwohl die Ernte in der Sächsischen Schweiz in vollem Gang ist, wird auch in den nächsten Tagen kein Stroh eingelagert. Der Zweckbau aus Betonplatten dient in diesem Sommer einem höheren Zweck. Für drei Tage wird er zum Musentempel von internationalem Format. Die Scheune wird zum provisorischen Konzertsaal umgebaut, in dem Musikliebhaber aus Deutschland und dem Ausland drei spektakuläre Aufführungen von Werken des sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch erleben können. Die 45 Meter lange Halle, vor deren Stahltor sich den Gästen ein bezaubernder Blick auf den Papststein und weitere Gipfel der Sächsischen Schweiz bietet, wird Spielort der ersten Schostakowitsch-Tage, die am 10. September in dem kleinen Kurort beginnen.

Der Anlass für das Festival ist ein Jubiläum, sagt Mitorganisator Lutz Ryback. Vor 50 Jahren wohnte der Komponist für einige Tage in Gohrisch, in einem Gästehaus des Ministerrates, aus dem das Parkhotel Albrechtshof geworden ist. In dem Haus, das in parkartiger Umgebung am Ortsrand steht und in dem auch Nordkoreas Staatschef Kim Il Sung und die sowjetischen Literaten Konstantin Fedin und Michail Scholochow beherbergt wurden, sollte er die Musik für den Film »Fünf Tage – fünf Nächte« schreiben, der damals in Dresden gedreht wurde. Die Atmosphäre in dem kleinen Luftkurort empfand er als fruchtbar: In Briefen pries er die Gegend als »unerhört schön« und sprach von »schöpferischen Arbeitsbedingungen«. Nur schrieb er nicht die Filmmusik, sondern das Streichquartett Nr. 8 in c-Moll, eines seiner bekanntesten und anrührendsten Werke.

Gohrisch hat so einen Platz in der Musikgeschichte erhalten: Jenes Opus 110 sei »das einzige Stück, das Dmitri Schostakowitsch außerhalb der Sowjetunion komponierte«, sagt Tobias Niederschlag, Konzertdramaturg bei der Dresdner Staatskapelle. Es waren Musiker des renommierten Orchesters, die auf das Jubiläum in diesem Jahr aufmerksam wurden und es würdigen wollten. Im Juni 2009 gründete sich unter Mitwirkung der Gemeinde ein Verein, der in kurzer Zeit ein Festival organisierte. Dieses werde »das einzige, das ausschließlich Schostakowitsch gewidmet ist«, sagt Niederschlag, der die künstlerische Leitung übernommen hat. Auf dem Programm stehen an drei Abenden vom 10. bis 12. September das Streichquartett und weitere Kammermusikstücke. Für große Orchesterwerke wie die »Leningrader Symphonie« ist laut Niederschlag »in der Scheune allerdings nicht genügend Platz«.

Schostakowitsch-Liebhabern bietet sich indes erstmals die Gelegenheit, das »persönlichste Werk« des 1975 verstorbenen Komponisten am Entstehungsort zu erleben, das nach Ansicht Niederschlags »eine Art Requiem für ihn selbst« darstellt. Diese Sicht widerspricht der traditionellen Deutung: Eigentlich ist das Streichquartett den Opfern von Krieg und Faschismus gewidmet; auch Bezüge zur Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 werden häufig hergestellt. Es gibt freilich auch Deutungen, die starke autobiografische Züge vermuten und dabei unter anderem auf die Anfangstöne D, Es, C und H verweisen, die Initialen des Komponisten. Solchen Interpretationen zufolge hat dieser in dem Streichquartett seine bedrückenden Erfahrungen in der Stalin-Zeit verarbeitet. Seine Oper »Lady Macbeth von Mzensk« wurde nach einer Aufführung im Beisein Stalins verrissen; die »Prawda« titelte, man habe »Chaos statt Musik« gehört, was Schostakowitsch Anlass zu großer Sorge war. Nach Kriegsende wurde der Schöpfer der »Leningrader Symphonie« des Formalismus bezichtigt. Später war er indes Sekretär des Komponistenverbandes und wurde 1961 sogar in die KPdSU aufgenommen. Ohne innere Konflikte sei das freilich nicht geblieben, sagt Niederschlag, der Schostakowitsch um 1960 in einer »existenziell bedrückenden Situation« sieht. Die räumliche Distanz zur Heimat habe es ihm erlaubt, diese zu Musik zu formen.

Aufgeführt werden das Quartett und weitere Werke eines der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts nun unter denkwürdigen Umständen, nämlich in der Scheune. »Es ist der größte verfügbare Raum im Ort«, begründet Ryback die Wahl. Gleichwohl erwarte die pro Abend rund 450 Gäste aber höchster Hörgenuss: Bei Instrumentalproben habe sich die Akustik des Gebäudes als sehr gut erwiesen. Die Musiker der Staatskapelle sähen den Konzerten, bei denen sie ohne Honorar auftreten und nur ein »Frackgeld« erhalten, erwartungsvoll entgegen. Ihre musikalische Qualität ist unbestritten; sie beeindruckte bereits Schostakowitsch, der des Orchesters »seidenen Klang« lobte. Die Zuneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Staatskapelle sorgte 1963 für die deutsche Uraufführung von Schostakowitschs 4. Symphonie, wurde bei späteren Konzerten auch von dessen Sohn dirigiert und räumte seinen Werken vor allem Mitte der 60er Jahre großen Raum ein, als Kurt Sanderling Chef am Dirigentenpult war. Er war mit Schostakowitsch befreundet und ist heute einer der Schirmherren des Festivals. Mindestens eine Symphonie des Komponisten, betont Niederschlag, hat die Staatskapelle auch heute noch im Jahresprogramm.

Allerdings: Dass dessen Werke an authentischem Ort und außerdem in einer Scheune aufgeführt werden, ist etwas anderes als ein Konzert in der Semperoper – und reizt zahlreiche Schostakowitsch-Liebhaber. Zum Festival werden nicht nur die Witwe des Komponisten, Irina Schostakowitsch, renommierte Forscher wie sein Biograf Krzysztof Meyer sowie der Dirigent Rudolf Barschai erwartet, der das Streichquartett Nr. 8 mit Zustimmung des Komponisten zu einer Kammersymphonie umarbeitete. Auch die Kartennachfrage ist groß: Wochen vor Beginn des Festivals war bereits ein Großteil der Tickets verkauft oder reserviert, sagt Niederschlag, der hofft, dass nicht nur Musikfreunde aus Hamburg oder Dresden in die Konzertscheune kommen, sondern auch Interessenten aus Gohrisch selbst. Im Programm des Festivals stehen neben Musikaufführungen auch Gespräche mit Irina Schostakowitsch, die ihren Mann bei einem zweiten Gohrisch-Besuch 1972 begleitet hatte, sowie die Aufführung von »Fünf Tage – fünf Nächte« und Besichtigungen des früheren Gästehauses, dessen Einrichtung teils original erhalten ist.

All das sind gute Voraussetzungen, um eine Hoffnung zu erfüllen, die man im Kurort mit dem Festival verbindet: die auf mehr Besucher. »Wir wollen zeigen, dass man hier nicht nur wandern und Rad fahren kann«, sagt Ryback. Bei der ersten Auflage der Schostakowitsch-Tage, die fest im Musikkalender etabliert werden sollen, scheint sich das zu erfüllen: An den drei Festivaltagen sind alle Betten ausgebucht. Gäste könnten aber auch in Nachbarorten oder sogar in Dresden absteigen. Für die Konzertabende wird ein Shuttleverkehr zwischen der Semperoper und Gohrisch eingerichtet.

Auf seinen berühmten Gast will der Kurort aber auch noch hinweisen, wenn das Festival für dieses Jahr beendet ist. Mitte Juli wurde ein Platz nach dem Komponisten benannt, als bislang einziger in der gesamten Bundesrepublik, wie es heißt. Gewählt wurde eine Kreuzung, an der auch viele Busse ankommen und abfahren. Wenn demnächst der Fahrplan überarbeitet wird, könnte es dann heißen: »Nächste Haltestelle – Gohrisch, Schostakowitsch-Platz«.

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