»Das große Jagen«
»Headhunter« – der fabelhafte neue Thriller des Norwegers Jo Nesbø
Natürlich ist der Mann kein Hammett und wohl auch kein Ross Thomas. Und ob er die Qualität eines Jean-Patrick Manchette besitzt, ist fraglich. Doch dass der Norweger Jo Nesbø sein Handwerk wie derzeit kaum ein anderer europäischer Thrillerautor beherrscht, das steht spätestens seit Erscheinen seiner letzten beiden Harry Hole-Romane außer Frage. Denn wo zwar verlässliche nordische Autoren wie Hakan Nesser, Arne Dahl oder Frederik Skagen ihr Publikum mit eher mittelmäßiger Konfektionsware bei der Stange halten, da löst der 1960 als Sohn einer Bibliothekarin geborene Ökonom, Musiker und Schriftsteller Jo Nesbø in seinen besten Momenten das ein, wovon der Gründervater des modernen Thrillers, Raymond Chandler, einst sehnsüchtig träumte, nämlich »von einem Krimi, der ganz offen ein Kriminalroman ist und die ganze Würze des Kriminalromans bewahrt, und der tatsächlich zugleich Charakter und Atmosphäre bietet, mit einem Oberton aus Gewalttat und Furcht«.
Und weil Nesbø begriffen hat, dass der Ursprung des modernen Kriminalromans in den sogenannten »Pulp Magazinen« liegt, den amerikanischen Groschenheften der 20er Jahre, in denen man schräge Metaphern vergebens suchte, kommen seine Romane mit einer Sprachhaltung daher, die an das gut abgehangene Script eines hartgesottenen Actionfilms erinnern – nämlich ohne ein Gramm Fett.
Und weil er obendrein weiß, wie man eine Geschichte aufbaut, geschickt verwinkelt und richtig beschleunigt, ohne zu überdrehen und sich in den selbst ausgelegten Schlingen zu verheddern, lesen sich seine Bücher wie aus einem Guss. So auch und vor allem sein aktueller Thriller »Headhunter«, in welchem der Norweger sein Schreiben an die Stufe der Vollendung geführt hat.
Dabei ist seine Story so simpel wie genial: Der Headhunter Roger Brown besetzt auf Wunsch großer, international tätiger Firmen von außen deren Spitzenpositionen. Und er ist der Beste unter Oslos Kopfjägern, ein kühler Spieler, der eine bildschöne Frau hat, deren schicke Kunstgalerie er sponsert. Doch weil in dem Mann auch das Herz eines durchtriebenen Gratwanderers schlägt, erleichtert er die Bewerber für die millionenschweren Chefposten, die er tagsüber anheuert, des Nachts kurzerhand um ihre privaten Kunstschätze. Und sein Geschäft mit gestohlener Kunst floriert. Bis er bei seinem gefährlichen Doppelspiel an den ehemaligen, durch Stahl- und Blutbäder gegangenen Vietnamkämpfer Clas Greve gerät - und aus dem Kunstjäger quasi über Nacht ein Gejagter wird, der um sein Leben läuft.
Wie es Nesbø dabei im Folgenden versteht, das Jagen und Ge-jagtwerden als über 300-seitiges atemloses Katz- und Mausspiel zu inszenieren, das ist grandios. Denn der Norweger besitzt ein wahrhaft meisterhaftes szenisches Gespür. Das Resultat sind Bilder, die beim Lesen wie vom selbst im Hirn abrollen: Kopfkino – aus nichts als Sprache gezaubert. Und anders als in seiner international hoch gelobten Harry Hole-Serie, in deren Zentrum ein saufender und seelisch schwer angeschlagener Moralist steht, der »nichts anderes kann, als kämpfen«, präsentiert »Headhunter« einen smarten Überlebenskämpfer, der seinen Widersacher am Ende mit seinen eigenen Waffen schlägt.
Verabschiedete etwa der Schwede Henning Mankell zuletzt in dem Epos »Der Feind im Schatten« seinen Ystader Ermittler Kurt Wallander für immer in die ewige Finsternis seiner Alzheimererkrankung, so besitzt die auf Morde im Norden abonnierte Krimigemeinde mit Jo Nesbø einen, der für die Zukunft steht: einen gewitzten Trickster und genialen Spurenverwischer, der eine Ahnung davon zu haben scheint, wie der perfekte Krimi aussehen könnte: Sein Thriller »Headhunter« jedenfalls belegt dies eindrucksvoll.
Jo Nesbø: Headhunter., Thriller. Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob. Ullstein Verlag. 301 S., geb., 14,95 €.
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