Zwei Stimmen von der Opposition
Neuer Hamburger Bürgermeister Ahlhaus mit satter Mehrheit / Für Senatsmannschaft stimmten nur 64 Abgeordnete
Der bei den Wählern nach Umfragen nicht sonderlich beliebte bisherige Innensenator Christoph Ahlhaus stellte sich am Mittwochnachmittag dem Votum der 121 Bürgerschaftsabgeordneten der Hansestadt und landete einen Überraschungscoup: Er gewann zwei Stimmen mehr, als die 68 Abgeordneten von CDU und Grün-Alternativer Liste (GAL) gemeinsam in die Waagschale werfen konnten.
»Ich hatte insgeheim damit gerechnet«, jubelte CDU-Landeschef Frank Schira: »Ahlhaus wird ein Bürgermeister für alle Hamburger sein, einer zum Anfassen.« GAL-Fraktionschef Jens Kerstan sprach von einem »guten Start« und sagte: »Wir vertrauen auf die Zusicherung, dass es unter Ahlhaus keinen Rechtsruck geben wird.«
Kurz vor der um Punkt 15.15 Uhr begonnenen Abstimmung hatte in den Reihen der CDU noch Skepsis geherrscht. Deren 56 Abgeordnete starrten mit grimmigen Gesichtern meist an die Decke, schwiegen, versprühten wenig sichtbare Regierungsfreude. Nur einer von ihnen, der diesmal auf der Zuschauertribüne stand, feixte und lachte herzhaft und entspannt: Ex-Bürgermeister Ole von Beust in Feierabendlaune. Seine Erleichterung über das Ende seiner Amtszeit wollte er nicht verbergen. Wie unter vertauschten Rollen demonstrierte die Opposition aus SPD und LINKER schon zu Beginn der Sitzung eine fröhliche Ausgelassenheit, als sei es ihr Tag – oder als hätte sie einen üblen Scherz ausgeheckt.
Ohne weitere Diskussionen und streng nach Plan marschierte jeder Abgeordnete einzeln in alphabetischer Reihenfolge in die Wahlkabine und warf seinen Stimmzettel in die Urne. Rund zehn Minuten später war die kleine Sensation perfekt: Stehende Ovationen bei der CDU, Schweigen bei der GAL und Gelächter bei der LINKEN: Ahlhaus hatte 70 Ja-Stimmen erhalten, eine Enthaltung und nur 50 Gegenstimmen, obwohl die Regierungspartner gemeinsam nur über 68 Sitze verfügen.
Während Ahlhaus' Gattin Simone sich auf der Empore im Saal der Bürgerschaft fröhlich lachend über ihre Zukunft als First Lady der Hansestadt freute, herrschte bei der Opposition – trotz guter Umfragewerte – Katzenjammer. »Erste Auflösungserscheinungen der SPD«, witzelte Norbert Hackbusch von der Linksfraktion. Seine Kollegin Kersten Artus ergänzte: »Nach vier Glas Rotwein hatten wir uns auch schon so einen Scherz überlegt.« Bei der SPD wollte man von Scherzen dieser Art nichts wissen und wimmelte empört ab. Tapfer stellte sich SPD-Fraktionschef Michael Neumann den Fernsehkameras und kommentierte zerknirscht die Lage: »Das ist ärgerlich. Aber in der Kabine ist jeder mit sich selbst allein – ich hab' ihn jedenfalls nicht gewählt.« Dann gab sich der ehemalige Berufsoffizier wieder kämpferisch: »Durch das Ergebnis werden die Probleme der Stadt nicht geringer und das Personal nicht besser.«
Damit spielte Neumann vor allem auf den neuen Wirtschaftssenator Ian Karan an, der schon vor seinem Amtsantritt reichlich Zündstoff geliefert hatte. Erst behauptete der in Sri Lanka Geborene, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ihn zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft eingeladen, dann widerrief er diese Story. Seinen Rauswurf aus der Londoner School of Economics begründete er zunächst mit der Legende, er habe gegen den Vietnamkrieg demonstriert und korrigierte dies wenig später mit dem Eingeständnis, zu oft geschwänzt zu haben. Auch seine Spenden an die rechtspopulistische Schill-Partei und an die Gegner der gescheiterten Schulreform, dem Kernstück der Ole-von-Beust-Regierung, sorgten für mediale Vulkanausbrüche und ließen nur die Grünen fast unbeeindruckt. »Eine Personalentscheidung der CDU«, kommentierte die Grüne Eva Gümbel noch am Mittwoch den Karan-Antritt mit versteinertem Mundwinkel, während der DGB schon am Morgen den Container-Millionär zum Verzicht auf das Amt aufgefordert hatte.
Um 16.26 Uhr gab es dann den ersten Dämpfer für Schwarz-Grün unter dem neuen Senatschef Christoph Ahlhaus. Als Bürgerschaftspräsident Lutz Mohaupt das Ergebnis der Abstimmung über die Senatsmannschaft verlas, waren der Koalition sechs Stimmen abhanden gekommen: Nur 64 Abgeordnete votierten für den Vorschlag, 56 dagegen. Ein Abgeordneter enthielt sich. Damit stimmten vier Regierungsabgeordnete nicht für den neuen Senat. CDU und Grüne verfügen in der Bürgerschaft über 68 Stimmen.
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