Haupttäter oder doch Opfer?

Der Ex-Chef von Lehman Brothers sagte vor Untersuchungsausschuss aus

  • Daniel Schnettler (dpa),
  • Lesedauer: 3 Min.
New York

Die folgenschwere Pleite von Lehman Brothers liegt fast zwei Jahre zurück. Noch immer weist der damalige Bankchef Richard Fuld alle Schuld von sich. Doch wer trieb die US-Investmentbank in den Ruin und löste damit die Finanzkrise aus? Ein perfektes Umfeld für Verschwörungstheorien.

Richard »Dick« Ful d ist das Gesicht der Finanzkrise. Der stets grimmig dreinschauende Chef der untergegangenen US-Investmentbank Lehman Brothers gilt vielen als der Hauptschuldige für die schlimmste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Am Mittwoch musste er sich dem Finanzkrisen-Untersuchungsausschuss des US-Kongresses stellen. Doch es gibt auch Theorien, die ihn als Opfer sehen.

Alles dreht sich um den 15. September 2008: An diesem »schwarzen Montag« geht zuerst Lehman Brothers bankrott, dann schluckt die Bank of America den strauchelnden Rivalen Merrill Lynch. Die Angst vor weiteren Pleiten geht um, die Finanzmärkte geraten in Schockstarre, die Börsen stürzen ab. Dies ist der Ausgangspunkt für die Wirtschaftskrise, die schließlich Menschen überall auf dem Globus trifft.

Jetzt musste sich Fuld wieder einmal für die Geschehnisse rechtfertigen, die die Welt so nachhaltig verändert haben. Der Untersuchungsausschuss tagte zum x-ten Mal. Fuld blieb dabei: Lehman Brothers hätte nicht untergehen müssen, der Staat habe versagt, als er der Bank seine Hilfe verweigert habe.

Aber warum geriet Lehman Brothers überhaupt in derartige Schwierigkeiten? Keine Frage, die Bank war wie jede andere Wall-Street-Größe hohe Risiken eingegangen und litt unter den Auswirkungen des zusammenbrechenden US-Immobilienmarkts. Das Management bekam die galoppierenden Probleme nicht mehr in den Griff, schließlich ging Lehman Brothers das Geld aus. Hartnäckig halten sich aber Spekulationen, große Hedgefonds hätten dem geschwächten Institut letztlich den Todesstoß versetzt. Als Namen tauchen Branchengrößen wie Greenlight Capital, Citadel oder auch der direkte Lehman-Rivale Goldman Sachs auf. Sie hätten mit Leerverkäufen auf den Zusammenbruch der 158 Jahre alten Traditionsbank gewettet und kräftig daran verdient, lautet der Vorwurf. Eine Anwaltsfirma sucht gerade im Auftrag des Lehman-Insolvenzverwalters nach Beweisen für diese Theorie, wie die »New York Times« schreibt: nach verfänglichen E-Mails, Handelsaufzeichnungen oder anderen Dokumenten.

Zehntausende Gläubiger warten immer noch auf ihr Geld. Sogar vor deutschen Gerichten laufen Verfahren. Viele Kleinanleger hatten sich von den Beratern ihrer Hausbanken Lehman-Zertifikate aufschwatzen lassen. Rentner, Studenten oder Familienväter verloren erst mal alles, nur mühsam haben einige Schadenersatz erstritten.

Auch unter den Banken tobt ein Streit: Der Insolvenzverwalter hält der britischen Barclays, Aufkäufer großer Teile von Lehman Brothers, vor, zu billig weggekommen zu sein. Der US-Großbank JP Morgan wirft er vor, Lehman kurz vor der Pleite einen Milliardenbetrag abgepresst und damit den Untergang beschleunigt zu haben.

Dem ehemaligen Lehman-Chef Fuld können derlei Streitereien oder öffentliche Kreuzverhöre egal sein: Von 500 Millionen Dollar ist die Rede, die er im Laufe der Jahre kassiert haben soll. Ein Krisenverlierer sieht anders aus.

Lexikon

Die US-Bank Lehman Brothers wurde 1850 von zwei deutschen Einwanderern gegründet. In den 1980er und 1990er Jahren wechselte das Geldhaus zwei Mal den Besitzer, bevor es 1994 zur eigenständigen Investmentbank wurde. Lehman spekulierte im sehr großen Stil auf eigene Kosten im Bereich von Immobilienkrediten. Nach dem Platzen der Spekulationsblase 2008 musste man milliardenschwere Abschreibungen vornehmen und zusätzliches Eigenkapital aufnehmen. Das reichte nicht: Da sich kein Käufer fand und der Staat nicht rettend eingreifen wollte, kam es im September zu der spektakulären Pleite. ND

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.