Stromschläge und Kameras
Umstrittene Reformen im Polizeirecht von Mecklenburg-Vorpommern
Dass es heiß zugehen würde im Schweriner Landtag, hatte sich angekündigt. Als Anfang des Monats bekannt wurde, dass die Schweriner Koalition zunächst sechs Elektroschockpistolen für die Polizei anschaffen möchte, hatte etwa Linkspartei-Landeschef Steffen Bockhahn erklärt, dass nun nicht weniger in Frage stehe als »20 Jahre Menschenrechte«. Die Elektropistole sei ein »Angriff auf alle Bürgerinnen und Bürger«. Die Vereinten Nationen hätten die Waffe als eine Art der Folter eingestuft. »Muskelkrämpfe, Atemstillstand, Herzkreislauf-Zusammenbruch, Kammerflimmern – wie viele Menschen bereits an den Folgen eines Taser-Beschusses starben, ist ungewiss.« Sogar die Bundespolizei lehne Taser ab – und gerade die Tatsache, dass die »Distanz-Elektroimpulswaffen« nicht als tödlich gelten, mache sie so gefährlich, so Bockhahn: Die Einsatzschwelle sinke.
Als am Mittwoch der Landtag in erster Lesung darüber beriet, legte der Linkspartei-Abgeordnete Torsten Koplin noch einen drauf: »Sie kalkulieren ganz klar, dass es zu sozialen Protesten und Unruhen kommt. Sie versuchen, mit modernen Geräten Vorsorge zu treffen«, sagte er – und erntete wütende Zwischenrufe. Seine Fraktionskollegin Gabriele Mestan verwies auf Zahlen von Amnesty International, nach denen in den USA und Kanada bereits nahezu 300 Menschen nach einem Taser-Einsatz verstorben seien.
Heftig umstritten sind aber auch Regelungen zur Videoüberwachung. Die rot-rote Regierung hatte 2005 ein Polizeigesetz verabschiedet, nach dem die Polizei verdachtsunabhängig öffentliche Plätze mit Kameras überwachen darf – in Bild und Ton. Dies wurde schon damals sehr kontrovers diskutiert, die Regelung zunächst auf fünf Jahre befristet. Nun soll sie verlängert werden – obwohl die Polizei diese Überwachungsmöglichkeit in den vergangenen fünf Jahren nur dreimal benutzt haben soll – so jedenfalls Landesdatenschützer Karsten Neumann. Einmal sei es dabei um das Privathaus des Altministerpräsidenten Harald Ringstorff gegangen, auf das 2007 eine Farbbeutel-Attacke verübt worden war. Die beiden anderen Oberservierungen betrafen einen inzwischen aufgegebenen Nazi-Laden und den Doberaner Platz in Rostock – während der Silvesternacht. Neumann nannte den Paragrafen im Vorfeld der Sitzung daher überflüssig. Auch FDP-Innenpolitiker Gino Leonhard hatte sich gegen derart »schwerwiegende Eingriffsbefugnisse« ausgesprochen, deren Nutzen sich praktisch kaum erwiesen habe.
Auch in der Sitzung sprach Leonhardt mit Blick auf die Überwachung von Plätzen von einer Verschiebung der »Balance« zwischen Gefahrenabwehr und Repression – obwohl es im Land kaum Kriminalitätsschwerpunkte gebe. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) wies die Vorwürfe zurück: Das Gesetz werde »modernisiert« und nicht verschärft. Caffier warf den Medien vor, Stimmung gegen das Gesetz zu machen. Der Entwurf geht nun in die Ausschüsse. Vor seiner Verabschiedung sind noch muntere Debatten zu erwarten.
Taser
»Taser« oder »Distanz-Elektroimpulswaffen« verschießen kleine Projektile, die per Draht mit dem Gerät verbunden bleiben. Über diese Drähte sollen die Beschossenen durch Schocks kampfunfähig gemacht werden – ohne sie schwer zu verletzen. In den USA ist die Waffe weit verbreitet, nahezu drei Viertel der Polizeidienststellen sollen sie besitzen. Amnesty International kritisiert, dass immer wieder Menschen nach einem Taser-Einsatz sterben.
Bekannt geworden ist zuletzt ein Zwischenfall in Kanada auf dem Flughafen Vancouver. Dort starb ein verwirrter polnischer Bürger nach dem Beschuss mit einer dem Taser vergleichbaren »Stun Gun«. Auch in den USA gibt es immer wieder Skandale, zuletzt etwa 2008, als Polizisten ein widerspenstiges Kind »taserten«.
In Deutschland haben mehrere Länder Taser angeschafft, meist für SEK oder MEK-Spezialeinheiten. Eine Anfrage der LINKEN im Bundestag ergab 2009, dass sogar die Bundeswehr zahlreiche Geräte hortet, obwohl der militärische Einsatz nicht geregelt ist. ND
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