Hastig, unfair, mangelhaft
Zwei eritreische Deserteure, die nach ihrer Abschiebung aus Deutschland im Militärgefängnis gelandet sind, schafften die Rückkehr und verklagen nun Deutschland auf Entschädigung
Petros Aforki Mulugeta (23 Jahre) und Yonas Haile Mehari (28 Jahre) besuchen einen Integrationskurs für Ausländer in Frankfurt. Der besteht aus einem Sprachkurs und einem Orientierungskurs, der ihnen die Grundbegriffe der deutschen Demokratie und des deutschen Rechtsstaats vermitteln soll. Einen praktischen Eindruck vom deutschen Rechtsstaat haben die beiden jungen Eritreer bereits gewonnen.
Desertion gilt als politisches Verbrechen
Petros und Yonas verließen unerlaubt den Wehrdienst in ihrer Heimat – Desertion heißt das. In Eritrea ein politisches Verbrechen. Wobei der Wehrdienst in Eritrea nicht ein oder zwei Jahre dauert, sondern unbefristet ist. In einigen Fällen dienten junge Männer und Frauen – denn auch Frauen werden zwangsrekrutiert – bis zu 14 Jahre im Militär.
Eritrea hat sich nach seiner lang erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien zu einem Militärstaat entwickelt. Staatschef Isayas Afewerki hat die strikten Strukturen der Befreiungsbewegung aus der Militanz in den Staatsapparat überführt. Petros und Yonas schafften es trotz aller Kontrollen, nach ihrer Desertion nach Deutschland auszureisen. Am Flughafen Frankfurt stellten sie einen Asylantrag und landeten routinemäßig im so genannten »Flughafenverfahren«, das heißt die Asylbewerber dürfen den Transitraum im Frankfurter Flughafen nicht verlassen. Sie befinden sich in Gebäude 587 A in der Cargo City Süd laut Rechtsdefinition nicht auf deutschem Boden. »Gefängnis« nennt Petros den Transitbereich, den er nicht verlassen konnte. Nur durch Telefonate hielt er Kontakt zu Freunden und Unterstützern.
Die Asylanträge von Petros und Yonas wurden als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt, sie sollten abgeschoben werden. »Das war keine Panne, sondern das Ergebnis eines höchst problematischen Verfahrens«, kommentiert Bernd Mesovic von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Er bescheinigt den Entscheidern im Flughafenverfahren, das stark beschleunigt abläuft, »eine gewissse Wurschtigkeit«. Es laufe »hastig, unfair, mangelhaft«.
Petros Aforki Mulugeta ahnte, was ihm in Eritrea als Deserteur bevorstand. Er weigerte sich mit allen Kräften, ein Flugzeug nach Eritrea zu besteigen. So lange, bis der Pilot den Transport des offensichtlich Flugunwilligen ablehnte. Dies wiederholte sich. Auch der Pilot einer zweiten Maschine verweigerte die Abschiebung. Sechs Monate lebte Petros täglich mit der Angst, nach Eritrea geschickt zu werden. Er und Yonas, die sich im Transitbereich kennengelernt und angefreundet hatten, protestierten mit einem Hungerstreik gegen ihre Abschiebung. »Das interessierte niemand«, stellt Petros heute fest.
Schließlich mietete die Bundesregierung am 14. Mai 2008 ein Charterflugzeug, das ausschließlich Petros und Yonas sowie begleitende Ärzte und Bundesgrenzschutz nach Eritrea flog. Man munkelt von Kosten in Höhe von 100 000 Euro für diesen Charterflug, der eigens der Abschiebung der zwei jungen Männer diente.
»Wir landeten im Maul des Krokodils«
In Eritrea angekommen, wurden die beiden in ein Militärgefängnis in Wi'a gesteckt. »Wir landeten im Maul des Krokodils«, sagt Yonas rückblickend. Das eritreische Sprichwort klingt zu niedlich für das, was er berichtet: Der Knast befindet sich in einem wüstenartigen Landstrich. Die Temperaturen erreichen bis zu 50 Grad Celsius. »Ich wurde durch einen Gang in ein unterirdisches Gelass geführt«, berichtet Yonas. »Das war 15 mal 10 Meter groß und stockdunkel. Dort befanden sich etwa 400 Gefangene. Es war unerträglich heiß. Wie die anderen zog ich mich aus bis auf die Unterhose.«
Zu Trinken gab es drei Becher Linsensuppe, allerdings ohne Linsen, und etwas Wasser. Zu essen gab es drei Hirsebrötchen am Tag pro Person.
Bei dem unterirdischen Gefängnis handelt es sich um eine Zisterne, die noch von den italienischen Kolonialherren errichtet wurde. In der Hitze und Enge schliefen die Gefangenen übereinander. Die Haut der Häftlinge wurde wund. Nach einem halben Jahr wurde Yonas nach oben geholt. Seine Haut war komplett entzündet. »Noch heute habe ich Narben.«
Im oberirdischen Areal gab es kaum Schatten. Da die Latrinen – zwei halbe Ölfässer – auch auf dem Gefängnishof standen, schwärmten viele Fliegen umher, die sich auf die Wunden der Männer setzten.
»Als meine Wunden infiziert waren und eiterten, brachten sie mich in ein Militärgefängnis«, berichtet Yonas weiter. Dort war die Bewachung laxer als im Gefängnis. Die Wachleute rechneten nicht damit, dass die entkräfteten und unterernährten Gefangenen fliehen würden. Doch Yonas sagte sich, dass dies seine einzige Chance sei. »Wenn ich warte, bis es mir besser geht, stecken sie mich wieder in das Camp«, dachte Yonas. Er nahm alle Kraft zusammen und schlich sich aus dem Militärhospital.
»In Eritrea gibt es keine Bewegungsfreiheit«, berichtet Petros, der Ähnliches erlebte. Er wurde in Wi'a einen Monat in einer Baracke aus Zink inhaftiert. Nach weiteren fast 15 Monaten in einem Gefängniscamp wurde er ebenfalls in ein Militärkrankenhaus verlegt, aus dem er entkommen konnte. Zwischen den Städten befinden sich Kontrollpunkte. Nur wer einen Passierschein besitzt, kann die Straße benutzen. Trotzdem schafften es die beiden jungen Männer mit Hilfe von Freunden, unentdeckt zu bleiben. Yonas floh nach Äthiopien, Petros gelangte nach Sudan.
Inzwischen setzten ihre Unterstützer in Deutschland eine »Asylanerkennung in Abwesenheit« für die beiden Eritreer durch. Neben Pro Asyl engagierte sich Connection, eine Organisation zur weltweiten Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern. Den beiden nun anerkannten Asylberechtigten bezahlten die jeweiligen deutschen Botschaften in Sudan und Äthioopien die Rückflüge – diesmal allerdings in Billigfliegern, für Yonas mit Zwischenlandung in der Türkei.
»Wir fordern eine Entschuldigung und eine Entschädigung vom deutschen Staat«, sagt Petros selbstbewusst. »Was uns passiert ist, war wie ein Todesurteil und es geschah nur, weil wir aus Deutschland abgeschoben wurden.«
»Die Abschiebung war formal rechtens, doch der Antrag der beiden hätte schon beim ersten Mal anerkannt werden müssen«, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Er ist der Meinung, dass bei der Anhörung die Fluchtgründe nicht ausreichend berücksichtigt worden waren. Das Amt selbst hätte die Entscheidung korrigieren müssen, meint Mesovic. Rudi Friedrich von Connection betont, dass jeder Deserteur in Eritrea einer unverhältnismäßigen Strafverfolgung ausgesetzt wird – die Kriegsdienstverweigerung allein sei daher ein Asylgrund.
Massenexodus aus Eritrea
Viele Eritreer wollen den Zuständen in ihrem Heimatland entkommen – weltweit waren 209 200 eritreische Staatsbürger 2009 weltweit als Flüchtlinge registriert, und das bei einer Bevölkerung von nur fünf Millionen Menschen. Pro Asyl spricht daher von »einem Massenexodus«. Lediglich aus Simbabwe und Myanmar flohen 2009 mehr Menschen. Nur wenige der eritreischen Flüchtlinge kommen nach Deutschland, die meisten suchen in Sudan oder Äthiopien Schutz. Inzwischen werden etwa 90 Prozent der Anträge von eritreischen Flüchtlingen in Deutschland positiv entschieden.
In Deutschland fühlen sich Petros und Yonas mehr oder weniger sicher. Ihre Familien in Eritrea haben nun Angst, für die Desertion ihrer Söhne belangt zu werden. Und Yonas sagt: »Jede Regierung hat ihre Spitzel im Ausland.«
Wie es nach dem Integrationskurs weitergeht, können sich Petros und Yonas nicht vorstellen. Zu sehr beschäftigt sie die Vergangenheit. »Ich habe keine ruhige Nacht«, sagt Yonas. »Ich bin psychisch kaputt.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.