»Was haben wir zu feiern?«

Mexikos Indígenas bleiben bei den Bicentenario-Festlichkeiten außen vor

  • Luz Kerkeling
  • Lesedauer: 3 Min.
Das offizielle Mexiko feiert 200 Jahre Unabhängigkeit und 100 Jahre Revolution – die indigene Bevölkerung ist jedoch weiterhin Opfer von Rassismus, Gewalt und Benachteiligung.

Während sich die mexikanische Regierung unter Präsident Felipe Calderón trotz 30 000 Toten im »Drogenkrieg« feiert und sich von ihren wichtigsten Alliierten, dem Militär und den Massenmedien dabei unterstützen lässt, ist die Situation der 62 indigenen Bevölkerungsgruppen kaum ein Thema. Dabei gäbe es genügend Gründe, leben nach offiziellen Angaben doch drei Viertel der cirka 14 Millionen Indigenen in Armut oder extremer Armut, vor allem in den Bundesstaaten Chiapas, Guerrero und Oaxaca. Die Kindersterblichkeit liegt im Durchschnitt bei rund 60 Prozent und damit deutlich über der nationalen Quote. Laut Unesco ist es für indigene Frauen 15 mal schwieriger, Lesen und Schreiben zu lernen, als für andere Frauen im Land.

In den Archiven der Menschenrechtsorganisationen stapeln sich die Klagen über Menschenrechtsverletzungen gegen indigene Aktivisten. Die Täter sind Sicherheitskräfte, paramilitärische Gruppen, bewaffnete Banden lokaler Machthaber oder Anhänger der Regierungsparteien. Doch auch politische Ausgrenzung und juristische Tricks wie unwahre Zeugenaussagen, um Aktivisten ins Gefängnis zu bringen, werden genutzt. Straflosigkeit und Korruption sind allgegenwärtig.

Die Interessen und Akteure dahinter sind vielfältig. Es gibt eine regelrechte Kette von lokalen – durchaus auch indigenen – Machthabern von Politikern und mexikanischen Unternehmen bis hin zu transnationalen Konzernen. Oft geht es neben politischer Kontrolle um handfeste wirtschaftliche Interessen, zum Beispiel natürliche Ressourcen wie Öl, Süßwasser, biologische Vielfalt oder Edelmetalle, die sich auf den indigenen Ländereien befinden.

Die weiße und mestizische Dominanzkultur in Mexiko betrachtet die indigene Bevölkerung entgegen der offiziellen Verlautbarungen häufig als »unterentwickelt«, »unzivilisiert« und als »Fortschrittsverweigerer«. Als folkloristische Dekoration im Tourismussektor werden sie hingegen gerne gebraucht.

Aber die organisierten Indigenen sind weit davon entfernt, in einem passiven Opferstatus zu verharren. Widerstand gegen Unterdrückung ist in vielen indigenen Gemeinden Alltag, aber medial kaum wahrnehmbar. Der 1996 auf Initiative der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN gegründete Nationale Indigene Kongress (CNI) geht in seiner jüngsten Erklärung mit der Regierung hart ins Gericht: »Was haben wir zu feiern?«, fragt das breite außerparlamentarische Bündnis. »200 Jahre nach der Unabhängigkeit und 100 Jahre nach der Mexikanischen Revolution leben unsere Völker, Nationen und Stämme, die viel zum Triumph dieser Kämpfe beigetragen haben, wie seit 518 Jahren (seit der Eroberung durch die spanische Krone, d. Red.) in Erniedrigung und Diskriminierung, ohne dass unsere fundamentalen Rechte anerkannt würden, das heißt wir sind Unbekannte in unseren eigenen Territorien.«

Seit 2001 gibt es keinen Dialog mehr zwischen der EZLN und CNI auf der einen und den Regierungsorganen auf der anderen Seite. Damals war von allen großen Parteien, auch von Teilen der sozialdemokratischen PRD, im Parlament eine Verfassungsreform beschlossen worden, die von den Zapatistas als »Reform für Großgrundbesitzer und Rassisten« bezeichnet wurde. Der CNI hatte auf die Umsetzung der Abkommen von San Andrés gesetzt, die 1996 von EZLN und Regierung unterzeichnet worden waren und der indigenen Bevölkerung eine weitreichende Autonomie über ihre Territorien garantiert hätten. Da dies den Interessen der Eliten des Landes und auch internationalen Akteuren diametral entgegensteht, wurde das Abkommen nur stark verwässert verabschiedet.

Der CNI setzt seitdem auf die Etablierung einer Autonomie ohne Erlaubnis: »Unsere Feier ist das ›Ya Basta!‹ unserer zapatistischen Brüder und Schwestern, die Autonomie und freie Selbstbestimmung, die unsere Völker de facto aufbauen.« Die Aktivisten halten an ihrem Aufruf fest, »mit allen von unten links den antikapitalistischen Kampf« voranzutreiben. Doch die Erfüllung der zentralen Forderung – »Nie mehr ein Mexiko ohne uns!« – liegt auch 2010 noch in weiter Ferne.

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