Gesundheitssystem ohne Solidarität
Streit um Röslers Reform vor der morgigen Abstimmung im Bundeskabinett
Berlin (ND-Stötzel/dpa). Das Gesundheitssystem könne angesichts der demografischen Entwicklung und des technischen Fortschritts in Zukunft nicht billiger werden, sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) in der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin«. Grundsätzlich dürfte er damit recht haben. Schwieriger ist es mit den konkreten Zahlen. So wurde das erwartete Defizit bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) am Freitag angesichts der Konjunkturlage von elf auf zehn Milliarden korrigiert. Gestritten wird aber vor allem darüber, wer das bezahlen soll.
Am morgigen Mittwoch wird im Bundeskabinett über die Gesundheitsreform abgestimmt. Danach soll der Beitragssatz für die GKV bei 15,5 Prozent festgeschrieben werden, wovon die Versicherten mit 8,2 Prozent den größeren Anteil übernehmen. Alle weiteren Verteuerungen werden über pauschale Zusatzbeiträge finanziert, welche die Versicherten unabhängig von ihren Einkommen zahlen müssen. Die Versicherten erhalten lediglich einen Ausgleich aus Steuermitteln, wenn der durchschnittliche Zusatzbeitrag aller Kassen zwei Prozent ihres Einkommens überschreitet. Wie viel tatsächlich gezahlt wurde, spielt keine Rolle. Darüber hinaus will Rösler, neben diversen empfindlichen Einsparungen, den Wechsel für Besserverdienende von einer gesetzlichen zu einer privaten Krankenversicherung erleichtern und den Privaten die gleichen Rabatte für Arzneimittel gewähren wie den Gesetzlichen. Alle Oppositionsparteien im Bundestag und viele Verbände fordern dagegen eine Bürgerversicherung für alle Einkommen.
Rösler verteidigte am Wochenende seine Meinung, die steigenden Kosten dürften nicht zu Lasten der so genannten Lohnzusatzkosten gehen und so Wachstum und Beschäftigung gefährden. Der GKV-Spitzenverband lehnt nach oben offene, pauschale Zusatzbeiträge ab. »Ein prozentualer Zusatzbeitrag hätte den praktischen Vorteil, dass der Sozialausgleich innerhalb des Zusatzbeitrages und nicht über einen gesonderten Ausgleichsmechanismus umgesetzt werden könnte«, sagte Sprecher Florian Lenz am Montag. »Eine Pauschale ist, auch wenn mit einem Sozialausgleich verbunden, ungerecht und belastet die kleinen und niedrigen Einkommen überproportional«, schrieb der CSU-Sozialpolitiker Max Straubinger an die Mitglieder der CSU-Landesgruppe und kündigte an, der Reform nicht zuzustimmen.
»Wer die Solidarität aus dem Gesundheitssystem ausschließt und aus Gesundheit ein Wirtschaftsgut machen will, dem geht es nicht um die Versorgung der Bevölkerung«, urteilte die Gesundheitsexpertin der Linksfraktion, Martina Bunge.
Karl Lauterbach, Gesundheitspolitiker der SPD, warf der Bundesregierung im »Kölner Stadt-Anzeiger« vor, Parlament und Öffentlichkeit über den Einfluss der Pharmalobby bei der Formulierung der Gesundheitsreform bewusst zu täuschen. So habe der Verband forschender Arzneimittelhersteller direkten Einfluss auf eine wesentliche Neuerung der Reform ausgeübt, nämlich die künftige Festlegung der Kriterien zur Kosten-Nutzen-Bewertung für neue Medikamente im Gesundheitsministerium. Rösler sagte dazu in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«, man brauche eine »vernünftige Nutzenbewertung«, die jetzt »im Interesse der Patienten« sehr schnell zustande kommen müsse.
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